Klimaforscherin im Interview "Jedes Zehntel Grad macht einen Unterschied"
Der Klimabericht belege, dass der Klimawandel menschengemacht sei, sagt Forscherin Friederike Otto im tagesschau24-Interview. Inwieweit die Erwärmung noch begrenzt werden könne, hänge auch von künftigen Entscheidungen und Tätigkeiten ab.
tagesschau24: Frau Otto, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse dieses aktuellen Berichts des Weltklimarats?
Friederike Otto: Es ist ein ganz wichtiger Bericht - das ist absolut unbezweifelbar. Dass der Klimawandel menschengemacht ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels jetzt schon überall auf der Welt zu spüren sind. In jeder Region der Welt hat der Klimawandel extrem Ereignisse in ihrer Wahrscheinlichkeit und Intensität verändert. Aber es wird eben auch von unseren Entscheidungen und unseren Tätigkeiten abhängen, ob wir die Erwärmung begrenzen können. Denn der Bericht sagt auch ganz klar, dass es noch möglich ist, wenn wir in den nächsten Jahren rapide und nachhaltig Emissionen reduzieren - vor allem CO2-Emissionen. Dass wir dann die Erwärmung auf 1,5-Grad begrenzen und damit viele dieser Veränderungen in einem Bereich stoppen können, mit dem wir noch umgehen können.
tagesschau24: Für diesen Bericht wurden die Ergebnisse vieler Tausend Studien zusammengeführt. Wo beziehungsweise wie macht sich der Klimawandel bemerkbar? Gibt es auch dazu neue Erkenntnisse?
Otto: Dieser Bericht hat im Gegensatz zum letzten Bericht viel mehr Informationen zum regionalen Klimawandel und vor allem auch zu Extremereignissen. Zum Beispiel sind Hitzewellen überall auf der Welt deutlich wahrscheinlicher und intensiver geworden. Das ist also eine der ganz deutlich spürbaren Folgen des Klimawandels.
Für Starkregenereignisse gilt das in vielen Teilen der Erde auch - allerdings ist dort die Veränderung etwas kleiner. In den sowieso schon dürreanfälligen Gebieten dieser Erde haben auch Dürren bereits deutlich zugenommen. Und dann gibt es natürlich noch die längerfristigen Veränderungen, zum Beispiel den Meeresspiegelanstieg. Wir sehen den Meeresspiegelanstieg noch nicht, der mit den jetzigen Temperaturen zusammenhängt, weil der Ozean ein langsam reagierendes System ist. Da werden wir also über Jahrzehnte und Jahrhunderte noch mehr Meeresspiegelanstieg beobachten. Und ähnliches gilt auch für Gletscher.
tagesschau24: Gibt es irgendwo auf der Welt Regionen, die noch nicht vom Klimawandel betroffen sind?
Otto: Nein, das zeigt der Report auch ganz deutlich. Alle Regionen dieser Welt haben Veränderungen durch den Klimawandel zu spüren bekommen. Es gibt keine Region, die nicht betroffen ist.
Dramatische Auswirkungen durch Kippen der Kipppunkte
tagesschau24: In der Klimaforschung arbeitet man ja mit dem Begriff der Kipppunkte. Was versteht man darunter? Und wo stehen wir da im Augenblick?
Otto: Unter Kipppunkten versteht man Elemente des Klimasystems, die sich abrupt verändern können und damit irreversible und großskalige Folgen im ganzen Klimasystem nach sich ziehen können. Ein Beispiel, das gerade in den vergangenen Tagen in den Medien war, ist die meridionale Zirkulation im Atlantik - umgangssprachlich auch Golfstrom genannt. Theoretische Studien haben gezeigt, dass sie zwei Zustände hat. Der eine Zustand ist der, den wir jetzt kennen. Aber die Zirkulation kann eben auch abbrechen und ganz anders verlaufen, was große dramatische Auswirkungen auf das Wetter in Europa hätte. Das Absterben des Amazonas-Regenwaldes wäre ein anderes Beispiel.
Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht ausschließen können, dass einige dieser Kipppunkte bereits jetzt gekippt sind - oder eben auch bei geringen zukünftigen Erwärmungen wie 1,5 oder zwei Grad so getriggert sind, dass sie in diesen anderen Zustand umkippen. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist im Moment sehr gering.
Aber bei höherer Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit dramatisch, dass solche Kipppunkte kippen können. Insofern ist das auch ein ganz wichtiger Punkt, den man in der Risikoabschätzung miteinbeziehen muss: Je höher die globale Mitteltemperatur steigt, desto weniger können wir ausschließen, dass solche Kipppunkte kippen können.
tagesschau24: Aufgrund der neuen Daten kann man auch weiter in die Zukunft schauen. Welche Entwicklungen sind jetzt schon abzusehen? Können Sie Beispiele nennen?
Otto: Zum einen wird der Meeresspiegel weiter steigen über die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte, auch wenn wir die Temperaturen auf 1,5 oder zwei Grad begrenzen. Das Gleiche gilt für das Abschmelzen der Gletscher und zum Teil auch für das Tauen des Permafrosts. Auch Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregenereignisse und Dürren werden weiter zunehmen. Jedes Zehntel Grad, jedes bisschen Emission macht wirklich einen Unterschied - gerade wenn es um Hitzewellen geht.
tagesschau24: Zur Rolle des Menschen - lässt sich belegen, wie weit wir das Klima durch unseren Umgang mit der Natur negativ beeinflussen?
Otto: Dieser Sachstandsbericht sagt ganz deutlich: Es ist eine Tatsache, dass sich die Erde erwärmt hat und dass der Grund dafür das Verbrennen fossiler Brennstoffe ist. Es ist menschengemacht, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel mehr. Und das heißt auch, dass eben viele dieser Veränderungen, die wir auf regionalen Ebenen sehen und in Extremereignissen, auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind. Die sogenannte Zuordnungsforschung untersucht für die beobachteten Veränderungen: Was sind die Ursachen? Welcher Anteil dieser Veränderung basiert auf Treibhausgasen? Welcher Anteil ist vielleicht durch Aerosolverschmutzung oder Landnutzungsveränderung entstanden - oder eben auch durch die natürliche Variabilität des Klimawandels? In diesem Bereich hat die Forschung in den letzten acht Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht, was sich auch in diesem Bericht widerspiegelt.
"Das 1,5-Grad-Ziel ist physikalisch absolut möglich"
tagesschau24: Im Pariser Klimaabkommen steht das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Ist das aus Ihrer Sicht noch zu erreichen?
Otto: Das Pariser Klimaabkommen spricht auch von 1,5 Grad. Und dieser Bericht zeigt ganz deutlich, dass wir das noch erreichen können. Denn wenn wir bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die Treibhausgasemissionen auf netto Null bringen, dann können wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Also physikalisch ist es absolut möglich. Aber es heißt natürlich, wir müssen jetzt sofort und global rapide und nachhaltige Emissionsreduktion vornehmen.
tagesschau24: Der Weltklimarat ist politisch unabhängig. Welche Rolle kann der Bericht als Grundlage für Entscheidungen der Politik spielen?
Otto: Dieser Bericht ist auch politisch relevant. Das heißt, die Informationen sind zum einen wichtig, um zu wissen: Wie hat sich der Klimawandel in allen Regionen auf der Welt heute schon verändert? Was wird in den nächsten Jahren, Jahrzehnten passieren? Das sind wichtige Informationen zur Anpassung. Und dann natürlich auch, was ist das verbleibende Budget von Emissionen, die wir noch ausstoßen können, um eben das 1,5-Grad-Ziel oder das Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen einzuhalten?
Das Interview führte Michail Paweletz. Das Gespräch wurde für die schriftliche Fassung redigiert und leicht gekürzt.