Psychotherapie Wie der Klimawandel uns krank macht
Hitzewellen, Dürre, Überschwemmungen - die Folgen des Klimawandels können sich auch auf unsere Psyche auswirken. Wie und ab wann "Klimaangst" krankhaft ist und was dagegen hilft.
In einer kürzlich im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Umfrage gaben 71 Prozent von 573 Psychotherapeuten an, dass ihre Patienten Sorgen bezüglich der Klimakrise äußerten. 41 Prozent dieser Therapeuten hatten mindestens einen Patienten, der die Behandlung aufgrund von Klimaangst, veränderter Gefühlslage und Depressionen begonnen hat.
Dass die Klimaangst in der Bevölkerung aufgrund des Klimawandels immer mehr zunimmt, bestätigt auch Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Mit jedem Grad, das die Durchschnittstemperatur ansteigt, steige auch das "Ausmaß an psychischen Störungen an" - und zwar um etwa 0,9 Prozent, sagt er. Bei 80 Millionen Bundesbürgern sei das schon eine ganze Menge, so Meyer-Lindenberg, "wenn man sich überlegt, dass wir jetzt schon deutlich mehr als ein Grad über dem langjährigen Mittel der Temperaturen sind".
Speziell Hitze macht uns nicht nur anfälliger für psychische Störungen. Sie macht uns auch aggressiver: Es werde im Straßenverkehr mehr gehupt, wenn es heiß wird. Hunde bissen mehr. Aggressive Kommentare auf Social-Media-Plattformen nähmen bei Hitze zu. All das zeigten Studien, sagt Meyer-Lindenberg.
Besonders ohnehin schon psychisch kranke Menschen sind bei Hitze auch physisch gefährdet. Bei ihnen verdreifache sich laut Meyer-Lindenberg die Sterblichkeit bei Hitzewellen.
Klimawandel-Ängste nehmen zu, Rechenleistungen ab
Die Aussagen des Psychiaters finden sich auch im Positionspapier zum Thema "Klimawandel und psychische Gesundheit", das die DGPPN bereits im Jahr 2023 veröffentlicht hat, wieder. Posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen oder Depressionen werden hier als Auswirkung auf die psychische Gesundheit aufgrund des Klimawandels vor allem genannt.
Auch sollen laut dem Papier unter anderem Fähigkeiten wie die Aufmerksamkeit, die Gedächtnisleistung und die Rechenleistung aufgrund der Luftverschmutzung und dem damit einhergehenden Klimawandel beeinträchtigt werden können.
Posttraumatische Belastungsstörungen nach Naturkatastrophen
Wie sehr und wie lange Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels unsere seelische Gesundheit belasten können, verdeutlicht der Psychiater Meyer-Lindenberg an folgendem Beispiel: Nach dem im Jahr 2005 an der US-amerikanischen Golfküste wütenden Hurrikan Katrina sei auch ein Jahr später noch "mehr als ein Drittel der Bevölkerung mit einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostizierbar" gewesen. Und "auch lange danach" gab es immer noch "einen Anstieg von Angststörungen aber auch von Suchterkrankungen", sagt Meyer-Lindenberg.
Was ist noch normal, was krankhaft?
Der Klimawandel macht vielen Menschen Angst. Das sei durchaus normal, sagt Meyer-Lindenberg.
Krankhaft ist das erst, wenn die Angst so groß ist, dass der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann. Dann handelt es sich laut Melanie Winkler um eine Angststörung. Winkler ist Oberärztin am Medical Park in Bernau am Chiemsee und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Was gegen die Klimaangst hilft
Um seine Angst richtig einzuordnen und zu lernen, mit ihr umzugehen, rät die Ärztin dazu, "einen Realitätscheck zu machen". Das heißt, zu prüfen: "Was von der Angst ist real und tatsächlich begründbar - und was ist übersteigert". Unser Gehirn sei schließlich "änderbar". Und so könnten wir das "im positiven Sinne beeinflussen, um Dinge besser bewältigen zu können, die auf uns zukommen", erklärt die Medizinerin.
Angst in Zusammenhang mit dem Klimawandel sei ja eigentlich normal, sagt der Psychiater Meyer-Lindenberg. Eigenes Engagement könne dagegen ebenso helfen wie andere dazu zu animieren, auch etwas gegen den Klimawandel zu tun, erklärt Meyer Lindenberg.
Politikern rät die Ärztin Melanie Winkler, gerade für junge Leute klar zu kommunizieren. "Ja, es wird gehandelt, wir können weiterleben. Und wir können weiter hier auf dem Planeten mit unseren Ressourcen haushalten". Das verschaffe Sicherheit, wenn gesehen werde, "da wird gehandelt und nicht nur gesprochen", sagt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
In einer früheren Version des Textes hieß es, dass ein Jahr nach dem Hurrikan Katrina mehr als zwei Drittel der Bevölkerung mit einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostizierbar gewesen seien. Wir haben dies geändert - es ist nur ein Drittel - und bitten den Fehler zu entschuldigen
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen