Neuer IBM-Prozessor Auf dem Weg zur Quantenüberlegenheit
Tech-Konzerne liefern sich ein Wettrennen um die Entwicklung überlegener Quantencomputer. Nun hat IBM einen Prozessor präsentiert, dessen Leistungsdaten als großer Fortschritt gelten. Wie weit ist die Zukunftstechnologie?
"Eagle" - so nennt sich der neuartige Quantenprozessor von IBM. Deutlich leistungsfähiger als bisherige Systeme soll er sein, wie das Technologieunternehmen mitteilte. Die Einführung von "Eagle" könne nicht mehr von einem traditionellen Supercomputer nachgeahmt werden und sei "ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem Tag, an dem Quantencomputer klassische Computer in bedeutendem Umfang übertreffen können", sagte Forschungschef Dario Gil.
Spitzenlabors auf der ganzen Welt und Firmen wie Google oder Microsoft forschen an der Entwicklung des Quantencomputers. Denn nicht umsonst rechnen Experten damit, dass von der Quantentechnik die nächste industrielle Revolution ausgeht. In einigen Jahren soll sie produktiv für die Modellierung neuer Moleküle und Materialien in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden - von der Energiewirtschaft bis hin zur Arzneimittelentwicklung.
Quantencomputer extrem leistungsstark
Aber was unterscheidet Quantencomputern von herkömmlichen PCs? Kurz gesagt: ihre besondere Art der Informationsverarbeitung. Traditionelle Computer arbeiten mit Bits. Ein Bit kann lediglich zwei Zustände annehmen: "Eins" und "Null" beziehungsweise "An" und "Aus". Quantencomputer funktionieren dagegen mit Qubits ("Quanten-Bits"). Ein Qubit kann nicht nur "Eins" und "Null" darstellen, sondern theoretisch unendlich viele Zustände dazwischen - und das gleichzeitig.
Anders ausgedrückt: "In einem Quantencomputer werden Informationen nach den Gesetzen der Quantenphysik gespeichert. Das bedeutet unter anderem, dass Datensätze und Speicherplätze gleichzeitig mehrere Werte haben können", erklärt Frank Wilhelm-Mauch, der bereits seit 1999 an Quantencomputern forscht, gegenüber tagesschau.de.
Die extrem leistungsstarken Quantencomputer gelten als Hoffnungsträger für Industrie und Forschung. Etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder bei der Verarbeitung von Big Data könnten sie dabei helfen, neue Meilensteine zu erreichen. "Quantencomputer haben das Potenzial, nahezu jeden Sektor zu verändern und uns dabei zu helfen, die größten Probleme unserer Zeit anzugehen", so IBM-Forschungschef Gil.
"Wichtiger Schritt zur Quantenüberlegenheit"
Jedes dazu kommende Qubit verdoppelt die Anzahl der gleichzeitig darstellbaren Zustände, wodurch die Zahl ein Leistungsmerkmal ist. IBM schraubte die Qubis in seinen Quantenprozessoren in den vergangenen Jahren kontinuierlich in die Höhe. Die "Canary"-Quantenchips aus dem Jahr 2017 verfügten noch über lediglich fünf Qubits. Im Februar 2020 stellte der Konzern die "Falcon"-Serie mit 28 Qubits vor, im September 2020 erreichte der "Hummingbird"-Prozessor schließlich 65 Qubits.
Mit der neuen Technik überschreite man nun mit 127 Qubits erstmals die Marke von 100 Qubit, heißt es von IBM. Für eine Simulation durch konventionelle Hochleistungsrechner wären nach Darstellung des US-Konzerns "mehr klassische Bits notwendig, als es Atome in jedem menschlichen Wesen auf dem Planeten gibt". Die erhöhte Anzahl werde es Nutzern ermöglichen, bei Experimenten und Anwendungen auf einem neuen Komplexitätsniveau zu erforschen.
"Die Verdopplung der Qubits-Zahlen, die wir hier haben, ist ein enorm wichtiger Schritt hin zur sogenannten Quantenüberlegenheit", sagt auch Experte Wilhelm-Mauch. Das sei die Schwelle, an der Quantencomputer mehr können als klassische Computer. Eine Quantenüberlegenheit, die jenseits der 50 Qubits liegt, wurde in künstlichen Test bereits 2019 erreicht. "Jeder Schritt darüber hinaus bringt uns näher zu realistischen Anwendungen", so der Professor an der Universität des Saarlandes.
Quantencomputer wie dieser im Projekt OpenSuperQ am Forschungszentrum Jülich gelten als Grundlage für eine weitere industrielle Revolution.
Fehlerrate muss noch sinken
IBM betonte gleichzeitig, der Fortschritt bei der Quantencomputer-Hardware werde nicht allein durch die Qubit-Anzahl bestimmt, sondern auch durch die Leistungsmerkmale Qualität und Geschwindigkeit. Dem stimmt auch Wilhelm-Mauch zu: "Neben der Qubit-Zahl ist im Augenblick vor allem die Verringerung der Fehlerrate der entscheidende Parameter."
Die Fehlerwahrscheinlichkeit müsse so klein werden, dass alle Qubits auch wirklich nutzbar seien, so der theoretische Physiker, der seit dem vergangenen Jahr das Institut für Quantum Computing Analytics am Forschungszentrum Jülich aufbaut. Wann das der Fall ist, ist schwierig zu prognostizieren. Experten wie der deutsche Physiker Andreas Dewes schätzen, dass die Entwicklung von funktionierenden Quantencomputern noch mehr als zehn Jahre in Anspruch nehmen könne.
Wilhelm-Mauch ist da etwas optimistischer: "Ich gehe davon aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren Prozesse in der chemischen Industrie haben werden, die mit Hilfe von Quantencomputern entwickelt wurden." In zehn Jahren könnten schließlich die meisten großen Rechenzentren laut dem Experten Quantencomputer haben. Eine magische Größe dafür sei allerdings, den Fehler um den Faktor zehn zu reduzieren und auch die Qubit-Zahl noch einmal zu verzehnfachen. "Ab Tausenden von wirklich sauberen Qubits wird es interessant."
Deutschland auf einem guten Weg
Bei der Frage, ob die Quantencomputer künftig die traditionellen PCs ersetzen, sei die Antwort "ganz einfach: Das werden sie nie tun, weil sie für Anwendungen gedacht sind, an denen Hochleistungsrechner gerade scheitern", sagt Wilhelm-Mauch. Für Steuererklärungen, E-Mails oder das Surfen im Internet hätten Quantencomputer überhaupt keinen Mehrwert.
Nach und nach kommt das Quantencomputing auch nach Europa und Deutschland. Neben Förderungen der EU und der Bundesregierung in Milliardenhöhe bildeten sich in den vergangenen Monaten auch Allianzen zur gemeinsamen Forschungsarbeit. Mitte Juni wurde gar Europas erster Quantencomputer in Ehningen bei Stuttgart eingeweiht.
Frank Wilhelm-Mauch vom Forschungszentrum Jülich koordiniert selbst ein europäisches und demnächst auch ein großes deutsches Projekt. "Deutschland hat das Umschalten von Grundlagenforschung auf angewandte und industrielle Forschung letztendlich geschafft", meint er. Zwar etwas später als die USA, aber durch die staatlichen Programme sei man hierzulande auf einem guten Weg, in der Branche mitzumischen. "Wir sind in den Marathon-Lauf hundert Meter später gestartet, aber das heißt noch nichts."