Debatte über Bundeswehr-Rückzug "Wir sind in Afghanistan gescheitert"
Wenn die Taliban nun doch wieder vorrücken - was heißt das für die Bundeswehr? Während sich die SPD für einen Verbleib in Nordafghanistan ausspricht, meint Ex-Generalinspektor Kujat, die deutsche Politik sei "gescheitert".
Rund 700 Bundeswehrsoldaten sind noch in Masar-i-Scharif im Norden Afghanistans stationiert. Dort sind sie vor allem mit der Ausbildung und Beratung afghanischer Sicherheitskräfte beschäftigt. 2016 sollen dann alle NATO-Truppen - also auch die deutschen Soldaten - aus der Fläche in die Hauptstadt Kabul zurückgezogen werden.
Doch nach dem Angriff der Taliban auf Kundus sieht es so aus, als könnten diese Pläne noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden. Es gibt noch Handlungsbedarf am Hindukusch. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte im Morgenmagazin von ARD und ZDF, die Politik habe in Afghanistan eine herbe Niederlage erlitten.
"Wir haben die politischen Kräfte nicht gebündelt, wir haben unsere Maßnahmen - weder die finanziellen, wirtschaftlichen, noch den staatlichen Wiederaufbau - nicht zentral gesteuert", kritisierte Kujat. "Wir haben von Anfang an unsere Kräfte zersplittert, anders als beispielsweise auf dem Balkan in den 90er-Jahren. Und das ist nun das Ergebnis: Wir sind politisch in Afghanistan gescheitert."
"Es wäre falsch, die Afghanen jetzt alleinzulassen"
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold fordert eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Norden Afghanistans. Angesichts der Situation im Land wäre es falsch, die Afghanen völlig alleinzulassen, sagte Arnold. Man könne nicht zuschauen, wie die Taliban das Land überrennen würden.
Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, zeigte sich im Deutschlandfunk offen für Änderungen an den Rückzugsplänen. "Ich glaube, das ist ein Vorschlag, über den wir sehr ernsthaft diskutieren müssen", sagte Annen. "Aber wir können Afghanistan nicht allein unterstützen. Die Voraussetzung ist, dass wir uns in der internationalen Gemeinschaft darauf verständigen, gemeinsam länger zu bleiben. Und die Voraussetzung dafür wiederum ist, dass die afghanische Regierung dies wünscht. Wenn diese Faktoren erfüllt sind, dann sollten wir ernsthaft darüber reden."
Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende in einem Interview vor einem zu frühen Truppenabzug aus Afghanistan gewarnt. Die NATO habe beschlossen, im Herbst noch einmal zu analysieren, inwieweit die Regierung in Kabul die Lage im Land beherrsche. Davon hänge es ab, ob die Verbündeten länger in Afghanistan bleiben müssen oder nicht.