Putsche in Gabun und Niger "Wichtig, die Länder individuell zu betrachten"
Mali, Guinea, Burkina Faso, Niger und nun Gabun. Wieder hat das Militär in einem afrikanischen Land die Macht übernommen. Doch die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich, erklärt Afrikaexperte Benedikt Erforth.
NDR Info: Warum trauen sich die Militärs gerade jetzt zu putschen - und das in ganz unterschiedlichen Ländern Afrikas?
Benedikt Erforth: Das sind zwei Dynamiken: Einerseits gibt es eine große Unzufriedenheit in den verschiedenen Ländern, in denen geputscht wurde - aus den verschiedensten Gründen.
In Niger zum Beispiel waren es sicherheitspolitische Bedenken und innenpolitische Rivalitäten. In Gabun geht es um sozioökonomische Missstände und die Unzufriedenheit mit dem Ausgang der Wahl am Samstag. Das ist die eine Thematik: die Unzufriedenheit, die diese Putsche verbindet.
Und die andere ist, dass wir eine sich selbst verstärkende Dynamik haben, dass ein Putsch momentan funktionieren kann. Darüber hinaus sind die Situationen aber durch ein ganz verschiedenes Raster zu betrachten.
Benedikt Erforth ist promovierter Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Ko-Projektleiter des Forschungs- und Beratungsvorhabens "Megatrends Afrika“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Europäisch-Afrikanische Beziehungen und die Sicherheitspolitik der EU in der Sahelregion.
"Insbesondere junge Bevölkerung unzufrieden"
NDR Info: Und welches Raster wäre das? Können Sie uns das noch näher erklären?
Erforth: In Niger ging es beim Putsch vor allem um sicherheitspolitische Bedenken. Die Bevölkerung war nicht zufrieden mit der sicherheitspolitischen Ausrichtung des Regimes, das wohlgemerkt ein demokratisch gewähltes Regime gewesen ist.
Und darüber hinaus kamen sehr starke innenpolitische Rivalitäten zwischen den Militärs und dem Präsidenten hinzu. Es war eine sehr starke Machtdynamik, die den Putsch im Niger getrieben hat.
In Gabun sieht das Ganze anders aus. Da hatten wir am Samstag eine Wahl, die weitgehend als nicht frei und nicht offen konstatiert wurde. Die Bevölkerung, insbesondere die junge Bevölkerung war unzufrieden, und zwar nicht nur mit dem Wahlausgang, sondern mit der Situation im Lande.
Wir haben eines der reichsten Länder Afrikas in puncto Pro-Kopf-Einkommen mit einer sehr armen Bevölkerung. Der Reichtum bündelt sich in einer sehr kleinen Elite, angeführt von der sogenannten Bongo-Dynastie. Vater Omar Bongo war seit 1967 im Amt, war Herzstück des sogenannten Klientelismus-Netzwerkes Françafrique.
Das war ein kleines Netzwerk aus französischen und afrikanischen Eliten, die dafür gesorgt haben, dass die koloniale Verbindung in ein postkoloniales Netzwerk umgewandelt wurde - von denen einige wenige profitierten, aber die große Breite der Bevölkerung nicht. Und genau diese Missstände kommen gerade jetzt in Gabun in diesen Putsch zum Ausdruck.
"Frankreich bleibt einer der Referenzpunkte"
NDR Info: Gabun war ja wie Niger, Mali, Burkina Faso, Tschad und Guinea eine französische Kolonie, und überall hat das Militär geputscht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte schon zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Afrikapolitik versprochen und im März in Gabun noch mal gesagt, das Zeitalter der Françafrique sei vorbei. Wie sehen Sie die Rolle Frankreichs?
Erforth: Das Ende des Zeitalters von Françafrique wurde seit Anfang der 1990er-Jahre immer wieder von den französischen Präsidenten verkündet. Das ist kein neues Narrativ. Und man hat mit diesem Narrativ, und das muss man Emmanuel Macron zugutehalten, im Grunde in Frankreich auch abgeschlossen.
Man versucht tatsächlich, eine Neuerung der Beziehungen herzustellen, doch ist das nicht immer ganz einfach. Es gibt die verschiedensten Pfadabhängigkeiten und Gründe, die dafür gesorgt haben, dass Frankreich nach wie vor einer der Referenzpunkte ist in der Region in West- und Zentralafrika, also im ehemaligen frankophonen Afrika.
Wir haben die sicherheitspolitischen Pfadabhängigkeiten im Sahel, das ist die eine Geschichte. Wir haben aber auch Pfadabhängigkeiten, was Rohstoffe angeht, was Wirtschaftsverbindungen angeht, und das trifft viel mehr auf Gabun zu.
Das heißt, Frankreich ist nach wie vor stärker involviert in der Region - allein aufgrund der historischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Pfadabhängigkeiten - als alle anderen europäischen Partner. Und dadurch ist es auch schwierig, Frankreich so einfach aus dieser Gemengelage herauszulösen.
"EU kann allenfalls unterstützend wirken"
NDR Info: Wie sollte denn die Bundesregierung beziehungsweise die Europäische Union damit umgehen, dass es jetzt in so vielen afrikanischen Ländern einen Militärputsch gegeben hat?
Erforth: Wichtig ist zunächst, die Länder individuell zu betrachten. Man sollte nicht mit einem Raster über alle Militärputsche hinweggehen. Es geht darum, erst einmal die Ursachen zu verstehen.
Die Bundesregierung nimmt momentan eine sehr abwartende Haltung in puncto Gabun ein und ist damit meines Erachtens zum jetzigen Zeitpunkt gut beraten.
Es geht auch darum, vor allem die Afrikanische Union einzubringen. Es ist eine Situation in Afrika, die Verantwortung liegt bei Afrika, und die Situation muss in Afrika gelöst werden. Das heißt, die Afrikanische Union sollte hier auch eine führende Rolle spielen, ebenso wie die Regionalorganisation. Die EU kann hier allenfalls, gerade in puncto Gabun, unterstützend wirken.
Das Gespräch führte Liane Koßmann, NDR Info. Für die schriftliche Fassung wurde es redigiert.