Proteste in Kenia Wenn das Geld nur noch für eine Mahlzeit reicht
Grundnahrungsmittel wie Mehl für Maisbrei sind in Kenia so teuer geworden, dass sich viele Familien einschränken müssen. Die Not treibt die Menschen auf die Straße, und die Proteste schlagen zunehmend in Gewalt um.
Hunderte Menschen ziehen durch ein Viertel der kenianischen Hauptstadt Nairobi. "Tumechoka" rufen sie, "wir sind müde". Es sind die seit Monaten steigenden Preise, derer sie überdrüssig sind und die sie auf die Straße treiben.
Aufgerufen zu den Protesten haben Oppositionsführer Raila Odinga und andere Politiker aus seinem Lager, sie führen die Proteste an. Doch viele, die hier demonstrieren, brauchen keinen Ansporn mehr, um auf die Straße zu gehen.
"Wir sind nicht wegen Raila Odinga hier", sagt ein Mann aus einem Vorort. "Die Kenianer verteidigen sich gegen die gestiegenen Steuern."
Versickern neue Abgaben im Korruptionssumpf?
Präsident William Ruto, seit knapp einem Jahr im Amt, hat verschiedene neue Abgaben angekündigt und sich dafür bereits die Zustimmung des Parlaments geholt. Offiziell sollen die neuen Steuern helfen, den völlig maroden Staatshaushalt zu sanieren.
Doch viele trauen der Regierung nicht. Mit Ruto verbündete Politiker waren schon während dessen Zeit als Vizepräsident in Korruptionsskandale verwickelt. Die Befürchtung ist, dass Gelder, die durch die neuen Abgaben an die Regierung gehen, in dunklen Kanälen versickern.
Eigentlich sollten die neuen Steuern schon seit dem 1. Juli gelten. Doch das oberste Gericht in Kenia muss nach Einsprüchen noch über die Rechtmäßigkeit entscheiden. Gestiegen sind allerdings schon die Spritpreise an den Tankstellen und damit durch die höheren Transportkosten auch alle anderen Preise.
Dürre und höhere Getreidepreise
Die neuen Erhöhungen treffen die Menschen in einer sowieso schon desolaten Lage. Bis es vor einigen Wochen zu regnen begann, hatte ganz Ostafrika eine lange Dürre durchgemacht, die schlimmste seit vier Jahrzehnten. Ernten verdorrten und das Vieh verendete. Gleichzeitig stiegen durch den Krieg gegen die Ukraine weltweit die Getreidepreise.
In der Folge zahlten die Kenianerinnen und Kenianer schon vor den neuen Preissteigerungen für alles deutlich mehr. Die Untersuchung eines Marktforschungsinstituts zeigte zuletzt, dass für das Hauptnahrungsmittel Maismehl 65 Prozent mehr als noch vor einem Jahr gezahlt werden muss. Die Zuckerpreise stiegen demnach um 50 Prozent.
Leah Akinyi, die zu den Demonstranten in Nairobi gehört, klagt, dass die Politik die Situation noch verschlechtere, statt die Menschen zu unterstützen. Ruto habe viel versprochen, aber das Leben sei zu hart geworden. Sie könne jetzt ihre Kinder nicht mal mehr zur Schule schicken, weil sie sich die Gebühren nicht leisten kann, sagt Akinyi.
Die Proteste eskalieren
Die Proteste wurden zuletzt in Nairobi und auch in anderen Teilen des Landes zunehmend gewaltsam. Demonstranten warfen Steine auf Einsatzkräfte. Die Polizei setzte vor allem in den Armenvierteln Tränengas ein.
Getroffen wurde dadurch zuletzt auch eine Schule. Rund 50 Kinder mussten in ein Krankenhaus eingeliefert werden, nachdem sie das Gas eingeatmet hatten. Einige wurden bewusstlos.
Zu der Zahl von Toten und Verletzten gibt es unterschiedliche Angaben. Doch allein in der Hauptstadt sollen inzwischen rund ein Dutzend Menschen von Sicherheitskräften erschossen worden sein.
Nicht nur in der Hauptstadt Nairobi wird inzwischen gegen die Regierung Kenias demonstriert. Immer wieder kommt es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben
Viele treibt das Gefühl auf die Straße, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch. Etwa 80 Prozent der Menschen sind Schätzungen zufolge im sogenannten informellen Sektor beschäftigt. Das heißt, sie arbeiten als Tagelöhner und kämpfen immer wieder aufs Neue darum, sich einen kurzfristigen Job zu sichern und so etwas Geld zu verdienen.
Aber auch, wer sich bisher zur Mittelschicht rechnete, hat jetzt häufig nicht mehr genug, um die Familie zu ernähren.
Hilfspakete aus der Provinz
Zu den wenigen, die von der Krise profitieren, gehören ein paar Transportunternehmen. Im Zentrum von Nairobi kommen jetzt jeden Tag schwer beladene Busse an. Sie bringen Lebensmittelpakete aus den landwirtschaftlichen Regionen in Kenia.
Es seien private Lieferungen, mit denen besorgte Angehörige ihre Verwandten in der noch viel teureren Hauptstadt unterstützen wollen, erklärt Willis Omondi, der bei einem der Busunternehmen arbeitet. "Im Grunde sind die Menschen jetzt von Lebensmitteln aus den Dörfern abhängig."
Bisher hätten sie etwa 10.000 Pakete am Tag transportiert. Jetzt seien es doppelt so viele.
Weitere Proteste absehbar
Bananen, Mais, Bohnen - was nach der Dürre jetzt wieder auf den Feldern wächst, wird nach Nairobi geschickt. Aber auch das bringt ihr nur wenig Entlastung, sagt Valerie Achieng, eine Mutter von vier Kindern, die einen Sack aus der Ankunftshalle abholt. Bei ihr reiche es im Moment nur noch für zwei Mahlzeiten am Tag, für Frühstück und Abendessen. Das Mittagessen müsse für alle ausfallen.
Manche können sich nur noch eine richtige Mahlzeit leisten - und demonstrieren mit hungrigem Magen. "Ein Tag des Chaos und des Todes", titelte Kenias größte Zeitung nach den jüngsten Protesten. Dass es weitere geben wird, ist schon absehbar. Mit den Preisen steigt auch die Wut in Kenia.