Migration über das Mittelmeer EU schließt Migrationsabkommen mit Tunesien
Die EU und Tunesien haben eine Absichtserklärung unterzeichnet, um die Migration über das Mittelmeer einzuschränken. Für die tunesische Regierung locken Finanzhilfen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch viele im Land sehen das Abkommen kritisch.
Die Europäische Union und Tunesien haben eine stärkere Zusammenarbeit beim Thema Migration beschlossen. Dazu unterzeichneten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Tunesiens Präsident Kais Saied in Tunis eine Absichtserklärung. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen der Vereinbarung noch zustimmen.
"Wir haben ein gutes Paket. Jetzt ist es Zeit, es umzusetzen", sagte von der Leyen mit Blick auf die Absichtserklärung. Saied sagte: "Wir sind fest entschlossen, sie schnellstmöglich umzusetzen." Er sprach beim Thema Migration von einer "unmenschlichen Situation", die zusammen gelöst werden müsse.
Mehr Geld aus Brüssel
Die EU-Kommission will etwa für Such- und Rettungsaktionen und die Rückführung von Migranten gut 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das entspricht der dreifachen Summe, mit der Brüssel das nordafrikanische Land zuletzt im Durchschnitt jährlich unterstützte.
Insgesamt könnte es um bis zu 900 Millionen Euro gehen, die das wirtschaftlich schwer angeschlagene nordafrikanische Land dringend benötigt.
Von der Leyen habe einen Fünf-Punkte-Plan vorgestellt, der bereits bei einem Besuch derselben Delegation im Juni ausgearbeitet wurde, berichtete ARD-Korrespondentin Kristina Böker. Die fünf Punkte beinhalteten eine Zusammenarbeit bei der Bildung, eine Förderung der tunesischen Wirtschaft, Investitionen in erneuerbare Energien in Tunesien, wirtschaftliche Kooperationen - und die Migration. "Das ist sicherlich der wichtigste Punkt für die EU", so Böker. Von der Leyen habe von einem verstärkten Kampf gegen die Schlepperkriminalität gesprochen, sagte Böker. Auch bei der Grenzsicherung wolle man besser zusammenarbeiten. Was das genau bedeute, sei nicht weiter ausgeführt worden.
Vor allem die ultrarechte italienische Ministerpräsidentin Meloni drängte auf eine Vereinbarung, um die Zahl der aus Tunesien kommenden Migrantenboote zu senken. Eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen war es, Migranten aus Nordafrika von den süditalienischen Küsten fernzuhalten.
"Nach viel diplomatischer Arbeit haben wir ein sehr wichtiges Ziel erreicht", sagte Meloni. Das Memorandum ermögliche eine "integrierte Bewältigung der Migrationskrise". Sie hoffe zudem auf weitere ähnliche Abkommen mit anderen nordafrikanischen Ländern. Kommenden Sonntag sei in Rom auch eine Migrationskonferenz geplant, an der Saied sowie weitere Staats- und Regierungschefs des Mittelmeerraums teilnehmen sollen.
Wichtiges Transitland für Migranten
Tunesien ist ein wichtiges Transitland für Migranten auf dem Weg nach Europa. Von der nordafrikanischen Küste machen sie sich auf Richtung EU. In diesem Jahr registrierte allein Italien mehr als 75.000 Migranten an der italienischen Küste - im Vorjahreszeitraum waren es etwa 32.000 Menschen gewesen. Das Erstaufnahmelager auf der kleinen Mittelmeerinsel Lampedusa ist derzeit überfüllt.
Präsident Saied hatte zuvor bereits ausgeschlossen, Tunesien zum Grenzwächter für Europa werden zu lassen. Die tunesische Regierung sieht eine langfristige Ansiedlung von Migranten im Land kritisch. Viele Tunesier fürchten, dass genau dies eine der Folgen eines EU-Deals sein könnte.
Im Februar hatte Saied ein härteres Vorgehen gegen Migranten angekündigt und ihnen vorgeworfen, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Seitdem nahmen Anfeindungen und rassistische Übergriffe zu. In der Küstenstadt Sfax kam es zu teils tödlichen Zusammenstößen zwischen Migranten und Anwohnern.
Nach den Auseinandersetzungen waren in den vergangenen Tagen zudem hunderte afrikanische Migranten in die Wüste geflohen oder gewaltsam dorthin vertrieben worden. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden sie dorthin von der tunesischen Polizei getrieben und in unwirtlichen Regionen nahe Libyen im Osten und Algerien im Westen ihrem Schicksal überlassen.