Kriminalität und Drogen Schatten über dem Amazonas-Paradies
Die Angst geht um im Amazonas-Gebiet: Drogenbanden nutzen den Regenwald als Umschlagplatz. Wer sich ihnen in den Weg stellt, lebt nicht lange. Vom Staat ist kaum Hilfe zu erwarten.
Das Land im brasilianischen Bundesstaat Pará, auf dem Fernanda aufwuchs, ist reich: Dichter Regenwald, durchzogen von Wasserläufen. Ihre Familie baute Maniok und Açai-Beeren an, die Gemeinde ging gemeinsam zum Fischen und auf die Jagd; man brauchte nicht viel zum Leben. Doch damit ist es vorbei, sagt Fernanda: "Die Region hier ist sehr begehrt, deswegen kommen immer mehr Unternehmen aus dem Ausland. Landräuber dringen immer weiter auf unser Land vor. Gemeinsam mit den Landräubern kamen die Drogenbanden und begannen, uns zu terrorisieren. Sie sagen, wenn du dich weiter einmischst, schneiden wir dir den Kopf ab und legen ihn auf eine Servierplatte."
Wer den Mund aufmacht, ist nicht mehr sicher
Fernanda hat uns darum gebeten, ihren Namen zu ändern und die Stimme zu verzerren. Sie hat bei den örtlichen Behörden Anzeige erstattet, steht heute unter Polizeischutz. Doch wirklich sicher fühlt sie sich dadurch nicht, sagt sie resigniert.
Sicherheitskräfte patrouillieren regelmäßig im Gebiet des Javary-Flusses im Nordwesten Brasiliens - sicher fühlen sich die Einheimischen dadurch aber nicht.
Fernanda lebt in der Nähe von Barcarena, einer Hafen- und Industriestadt nahe der Stelle, wo der Amazonas in den Atlantik mündet. Heute ist Barcarena einer der wichtigsten Knotenpunkte für den Export illegaler Drogen aus dem Amazonasgebiet nach Europa. 2021 wurden, so Schätzungen des brasilianischen Forums für öffentliche Sicherheit, 40 Prozent der 2.000 Tonnen an Kokain, die in Kolumbien, Peru und Bolivien produziert wurden, durch das Amazonasgebiet exportiert. Und in Barcarena, nahe Fernandas Gemeinde, wurde 2022 der Rekord-Einzelfund von drei Tonnen Kokain gemacht.
"Es gibt hier viele Flüsse und Bäche, die die Drogenbanden nutzen. Sie nutzen die Gemeinden auch als Lagerorte und Verstecke, oder um die Drogen umzuladen. Das 'Comando Vermelho' hat hier das gesamte Gebiet übernommen. Und es ist schmerzhaft zu sehen, wie sie die Jugend für sich gewinnen, wie die Abhängigkeit zunimmt, wie auch Frauen immer mehr in die Geschäfte verwickelt werden."
Regenwald unter Kontrolle organisierter Kriminalität
Das Comando Vermelho, das Rote Kommando, entstanden im 3.000 Kilometer entfernten Rio de Janeiro, ist heute genauso im Amazonasgebiet aktiv wie zum Beispiel kolumbianische Splittergruppen ehemaliger Farc-Guerilleros. In den Grenzregionen zwischen Brasilien, Kolumbien, Peru und Venezuela sind heute in sieben von zehn Gemeinden kriminelle Gruppen aktiv, ergab die länderübergreifen Recherche "Amazon Underworld“ eines investigativen Teams um den Journalisten Bram Ebus.
Ein Wendepunkt für die kriminelle Dynamik im größten Regenwaldgebiet der Erde sei das Jahr 2016 gewesen, so der Journalist Ebus. Zum einen sei durch den Friedensprozess in Kolumbien mit der Farc-Guerilla ein Machtvakuum in den abgelegenen Regenwaldregionen entstanden. Zum anderen habe Venezuelas Regierung - angesichts des Niedergangs im Ölsektor - eine Sonderentwicklungszone für Bergbau im Amazonas ins Leben gerufen, die allerdings vor allem illegale Goldgräber anlocke, meint Ebus.
In Brasilien kam es schließlich zum offenen Konflikt zwischen zwei großen Verbrechersyndikaten. Das habe zu einem regelrechten Krieg um den Amazonas geführt, erklärt der Journalist. Während der Pandemie hätten die Staaten den illegalen Gruppen dann quasi das Feld überlassen.
Tödlichste Region für Umweltschützer
Mit schwerwiegenden Folgen auch für die Umwelt - und für die, die sich für den Schutz des Regenwaldes und seiner Biodiversität einsetzen. Der Amazonas gehört mittlerweile zu den tödlichsten Regionen für Umweltschützer, zeigt eine Studie der Nichtregierungsorganisation Global Witness.
Deren Brasilien-Expertin, Gabriela Bianchini, beobachtet die Entwicklung seit einigen Jahren: "Wir reden von Menschen, die ihr Land, ihr indigenes Territorium, ihr Haus gegen die mächtigen Interessen verteidigen - und damit auch Gebiete schützen, die zentral sind im Kampf gegen den weltweiten Klimakollaps. Und weil die Staaten sie nicht richtig schützen, geraten sie immer mehr in den Fokus dieser kriminellen, extrem gewaltsamen Gruppen."
Die indigenen Bewohner der Amazonas-Region leiden unter der zunehmend schlechten Sicherheitslage.
Armut ebnet den Weg für Kriminalität
Wo es viel Armut gibt und kaum legale Arbeit, hätten die Gruppen ein leichtes Spiel, meint auch der Journalist Ebus. Der Regenwald sei kaum zu schützen, wenn die Menschen vor Ort vor der Entscheidung stünden, ihre Kinder nicht ernähren zu können - oder das Geld dafür bei einer illegalen Gruppe zu verdienen.
Doch Fernanda will nicht weg - trotz der Drohungen. "Ich möchte mit meinen Kindern in meinem Haus leben. Ich hoffe, dass die Behörden eines Tages die Menschen sehen, die dafür kämpfen, dass der Wald erhalten bleibt. Es ist traurig zu erleben, dass wir, die die Natur schützen wollen, bedroht werden und in so prekären Verhältnissen leben müssen."
Fernanda hofft, dass die Staaten der Region ihren Versprechen vom Amazonas-Gipfel im August Taten folgen lassen - und dass auch aus dem Ausland mehr Unterstützung für die Bewohner des Amazons kommt.