Nach Milei-Sieg in Argentinien Revolution von rechts?
Argentiniens neuer Präsident Milei tritt heute sein Amt an. Seine Anhänger hoffen im Land der Dauerkrise auf eine Revolution von rechts. Soziale Bewegungen hingegen fürchten Unterdrückung.
Es regnet in Strömen in Almirante Brown im armen Süden von Buenos Aires: Bescheidene Häuschen mit Vorgärten wechseln sich ab mit Elendsvierteln und Fabriken. In einem kleinen Lokal mit Plastikstühlen bereiten sich die 28-jährige Natalia German und ihr Team auf die Zeitenwende vor - das Handy stets zur Hand, hier wird noch was gepostet, da eine Nachricht geschickt, dazu der TikTok-Account gecheckt.
"La Libertad Avanza" steht auf einem Banner an der Wand, "die Freiheit schreitet voran" - so heißt Javier Mileis Partei auf Deutsch.
"Er ist für mich die Hoffnung auf einen wirklichen Wandel", sagt German. Seit Jahren versprächen die Politiker, dass es besser werde, aber nichts passiere: "
Wir haben die Nase voll von diesen Politikern. Was sich in Argentinien ändern muss, ist der aufgeblähte Staat. Gebt den Menschen die Möglichkeit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, statt sie wie Schafe zu behandeln.
140 Prozent Inflation
Natalia German ist für Mileis Partei als Stadträtin gewählt worden, hier im dichten Vorstadtgütel, der seit Jahrzehnten von der peronistischen Partei dominiert wird. Für die junge Frau sind die Peronisten der Inbegriff der, wie Milei es ausdrückt, verhassten "Politikerkaste", verantwortlich für Argentiniens wirtschaftlichen Niedergang: 140 Prozent Inflation, vier von zehn Argentiniern leben unterhalb der Armutsgrenze.
Nachts könne man hier gar nicht auf die Straße gehen, sagt German. "Es kann nicht sein, dass du ab 22 Uhr in deinem Haus eingesperrt sein musst, weil sich das Viertel dann in ein Niemandsland verwandelt. Etwas zu sparen, ist unmöglich, oder in den Urlaub zu fahren."
Milei will Staat auf Minimum reduzieren
An der Wand hinter German hängt ein Banner. "Posten in der Politik streichen" steht da ganz oben - oder "Plan für private Beschäftigung und Humankapital". Die politische Agenda Mileis im Kleinen. Auf nationaler Eben plant der libertäre Ökonom eine Schocktherapie: Er will den Staat auf ein Minimum reduzieren, Ausgaben drastisch kürzen, Budgets streichen, Entlassungen vornehmen.
Und er machte auch keinen Hehl daraus, dass Argentinien erstmal harte Monate bevorstehen: Milei sprach von einer Stagflation. Das bedeutet: Die Wirtschaft stagniert, während die Inflation weiter anzieht.
"Für uns Arbeiter wird es hart"
Genau davor hat man in der Bäckereikooperative "La Obrera", "Die Arbeiterin", in der Nachbarstadt Lanus große Sorgen. Medialuna-Hörnchen, Kleiebrot oder frittierte Törtchen backen sie hier in Gemeinschaftsarbeit - die Kooperative ist aus einem staatlichen Förderprogramm für Frauen entstanden, nach der letzten großen Krise 2001. Carlos Rodriguez war damals einer der Dozenten, heute ist er einer der Bäckermeister.
"Bei uns mischt sich Trauer mit Frust und Wut", sagt Rodriguez:
Ich glaube, unsere Regierung hätte einen besseren Job machen können. Nun hat uns die Realität überrollt. Und es wird sehr schwer werden, wenn hier alles runtergefahren wird. Die Gemeinden hängen ja stark von den öffentlichen Aufträgen ab, die Milei jetzt alle einstellen will. Für uns Arbeiter wird es hart.
Wie reagiert Milei auf Widerstand?
Die Kooperative gehört zur einflussreichen peronistischen Bewegung "Movimiento Evita", die auch Teil der Regierungskoalition war und gleichzeitig Suppenküchen, Recyclinghöfe und Sozialprogramme verwaltet. Millionen Menschen, vor allem aus der Schattenwirtschaft, sind in Argentinien heute Teil einer solchen Organisation. Wie die Gewerkschaften haben sie auch eine enorme politische Macht, vor allem durch ihre Fähigkeit, den Widerstand auf der Straße zu organisieren.
"Was mir Angst macht, ist, wie die Regierung Milei mit dem Protest umgehen wird", sagt Rodriguez. "Er hat ja schon angekündigt, dass es eine sehr starke Repression geben wird, dass es für uns viel härter wird, unser Recht, zu protestieren, wahrzunehmen. Es geht uns nicht darum, ihn nicht regieren zu lassen, es geht uns um die Zukunft unserer Familien und Kinder."
Milei ist auf Allianzen angewiesen
Darum geht es Natalia German aus Almirante Brown auch. Genau deswegen hält sie zu Milei. Sie weiß, dass es schwierig wird, da der zukünftige Präsident im Parlament keine Mehrheit hat und auf Allianzen angewiesen ist. Dass Milei nun Schlüsselpositionen mit erfahrenen Politikern besetzt hat, die er zuvor als Mitglieder der von ihm verachteten "Kaste" geschmäht hatte, stört sie deshalb nicht.
"Die Libertad Avanza ist eine neue Partei und, wie Javier ja auch sagt, jeder, der professionell ist, der für seine Aufgabe ausgebildet ist, ist willkommen", meint German.
Javier ist einer wie wir, er redet wie ein normaler Mensch. So schafft er es, dass es bei den Leuten Klick macht, dass sie wieder an den Wandel glauben.
Nach sechs harten Monaten, glaubt German, werde es mit Argentinien aufwärts gehen. Für sie und viele junge Leute hier ist Milei der Anführer einer neuen Revolution von rechts. Für Rodriguez hingegen symbolisiert der neue Präsident einen großen Rückschritt.