Auf einer Kaffeeplantage in Brasilien werden Bohnen sortiert
weltspiegel

Kaffeeanbau in Brasilien "Sie machen Sklaven aus uns"

Stand: 16.07.2023 03:11 Uhr

Kein Land exportiert mehr Kaffee als Brasilien. Doch auf den Plantagen werden die Arbeiter häufig ausgebeutet, nicht selten leben sie unter sklavenähnlichen Bedingungen. Die Ursachen reichen tief in die Landesgeschichte zurück.

Es ist ein Knochenjob. Mit bloßen Händen werden die reifen Kaffeekirschen von Zweigen der Sträucher gestreift. Iran trägt keine Handschuhe. Finger, Ballen, Handrücken zeigen Narben und Blessuren. Für Werkzeuge und Hilfsmittel, die er gestellt bekomme, müsse er zahlen, erzählt Iran.

Vom ersten Tag an gerät er damit in eine Schuldenspirale. Sein Arbeitgeber verlangt Geld für Transport, Essen, Schlafen, Stiefel, die vor Schlangenbissen schützen. "Sie machen Sklaven aus uns", klagt Iran. "Ich arbeite und zahle noch drauf. Ich verdiene keinen einzigen Real, um für zu Hause Essen zu kaufen."

Prekäre Arbeitsbedingungen von Erntehelfern in der brasilianischen Kaffeeproduktion

Xenia Böttcher, ARD Rio de Janeiro, Weltspiegel, 16.07.2023 19:00 Uhr

Tausende Fälle und eine hohe Dunkelziffer

Sklaven-ähnliche Arbeit ist im Brasilien des 21. Jahrhunderts nach wie vor ein Problem. Im vergangenen Jahr wurden knapp 2600 Fälle bekannt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein.

Unter Präsident Jair Bolsonaro wurden die Bundesmittel zur Bekämpfung dieser Missstände um fast die Hälfte gekürzt. Seit Präsident Lula da Silva im Amt ist, stieg das Budget zwar um gut 44 Prozent. Doch umgerechnet 6,5 Millionen Dollar zur Bekämpfung sklaven-ähnlicher Arbeitsverhältnisse bei rund 105 Millionen Beschäftigen landesweit sind nach Meinung von Experten dürftig.

Iran

Iran arbeitet auf einer Kaffeeplantage - mangels Alternativen.

Recherchen unter Polizeischutz

Marcelo Campos arbeitet für die regionale Aufsichtsbehörde im Bundesstaat Minas Gerais. Er recherchiert und untersucht mögliche Vergehen vor Ort. Die weitaus meisten Fälle gibt es Studien zufolge in der Landwirtschaft.

Marcelo wird bei der Inspektion von Kaffeeplantagen von der Bundespolizei begleitet, "weil es eine Situation ist, die für die Plantagenbesitzer eine Menge Schaden mit sich bringen kann, und es kann sein, dass sie mit Gewalt reagieren", erklärt er.

Marcelo

Marcelo arbeitet für die regionale Aufsichtsbehörde - aus Angst vor ihrem Arbeitgeber vertrauen sich ihm nur wenige Arbeiter an.

"Niemand hat Mitleid"

Dicht an dicht und in langen Reihen stehen die gut zwei Meter hohen Kaffeesträucher. Kaffeekirschen liegen in Säcken auf dem Boden. Niemand ist zu sehen. Hier sei vor wenigen Momenten noch geerntet worden, stellt Marcelo fest. "Wir wollen sie finden und mit ihnen reden, um die Situation zu verstehen." Die Pflückerinnen und Pflücker haben sich offenbar verdrückt - aus Angst. Nicht vor Marcelo und seinem Team, sondern vor dem Arbeitgeber.

Zwei Bundespolizisten rennen einem flüchtenden Pflücker hinterher. Der Mann wird gestellt. Er habe nur einen Spaziergang gemacht, behauptet er. Über Arbeit will er nicht reden. Aber ein anderer ist dazu bereit. "Hier arbeiten arme Menschen. Niemand hier hat Mitleid mit ihnen", sagt Valdecir da Silva, ein Mann mit hagererem Gesicht, ausgezehrtem Körper und Tränen in den Augen. 

"Wenn ich auf die Idee käme, über die Arbeitsbedingungen hier vor einem Gericht zu klagen, dann wird mich keiner mehr beschäftigen. Dann ist dein Name so befleckt, als hättest du gestohlen oder etwas noch Schlimmeres gemacht."

Ausbeutung trifft vor allem die schwarze Bevölkerung

Brasilien ist der größte Kaffee-Exporteur der Welt. Das Geschäft wirft satte Gewinne ab. Manche wollen noch mehr und beuten ihre Beschäftigten bis aufs Blut aus. In der Landwirtschaft trifft es einer Studie der Universität Minas Gerais zufolge zu 95 Prozent schwarze Männer, in privaten Haushalten zu Dreivierteln schwarze Frauen.

Rassismus ist nach wie vor ein großes Thema in Brasilien, das als letztes Land der Welt erst vor 135 Jahren die Sklaverei abgeschafft hat. Bis dahin, sagt Marcelo Campos, seien Arbeiter oft noch Sklaven, Objekte, eine Ware gewesen. "Ein Land mit einer Geschichte von 300 Jahren Sklaverei hat eine patriarchale Kultur, die die Rechte der Arbeiter weder wertschätzt noch erfüllt."

Nicht einmal ein Bett - und selbst das kostet

João Manuel de Oliveira bereitet auf dem nackten Boden sein Nachtlager. Selbst dafür wird er zur Kasse gebeten. "Es ist sehr demütigend, wir verlassen unsere Wohnungen und müssen dann hier auf dem Boden schlafen", beklagt er sich.

Der Plantagenvorsteher will für Joãos Klage kein Verständnis aufbringen. Wer sich über die Unterkunft hier mokiere, der solle sich mal die Lebensverhältnisse der Arbeiter zu Hause ansehen. Die seien noch viel schlimmer, behauptet er trotzig.

Ein Unrechtsbewusstsein, stellt Marcelo Campos immer wieder fest, fehle bei den Übeltätern fast völlig.

Joao

Auch Joao kommt mit seinem Job als Pflücker nicht über die Runden.

Mit falschen Versprechungen gelockt

Angelockt durch Versprechungen und mangels Alternative lassen sich Menschen wie João und Iran auf solche Jobs ein. Oft werden sie quer durchs Land gekarrt, was sie noch tiefer in die Verschuldung lockt.

Meistens merken sie zu spät, dass sie in eine Falle getappt sind und monatelang ausgebeutet werden. Kommt Marcelo den Ausbeutern auf die Schliche, müssen diese die Schulden ihrer Arbeiter streichen und ausstehende Löhne auszahlen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung Weltspiegel am 16. Juli 2023 um 19:00 Uhr.