In der Nähe eines Strands in Honduras wird ein höheres Haus gebaut.
weltspiegel

Honduras Privatstadt unter Palmen

Stand: 05.02.2023 06:36 Uhr

Die honduranische Insel Roatán ist ein karibisches Palmenparadies - und Schauplatz eines Experiments. Hier entsteht eine Stadt, in der nicht Politiker, sondern Unternehmer die Regeln schreiben.

Wenn Erick Pitsikalis Besucher zu seinem Rohbau führt, kommt er ins Schwärmen. Der Blick über das türkisfarbene Meer auf der kleinen Insel vor der Küste Honduras ist atemberaubend. 20 Prozent günstiger und viel schneller habe sein Unternehmen den Büroturm mit 14 Stockwerken hochziehen können, sagt er.

Auf Roatán seien maximal acht Stockwerke erlaubt, aber in Próspera gilt diese Regel nicht. "Für Geschäftsleute bringt das viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln", betont Pitsikalis.

Honduras: Private Stadt für Investoren

Marie-Kristin Boese, ARD Mexico, Weltspiegel 18:30 Uhr

Kritiker fürchten Ausverkauf staatlicher Souveränität

"Próspera", übersetzt "Wohlstand" - so heißt die im Palmendschungel auf 23 Hektar entstehende autonome Investoren-Enklave, kurz "ZEDE" genannt. Noch ist Pitsikalis Rohbau eines der wenigen Gebäude hier.

Aber Schilder kündigen weitere Bauarbeiten an und warnen, dass man sich hier auf Privatgelände befindet. Genauer: auf dem Hoheitsgebiet von "Próspera Inc.", dem Unternehmen mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware, das hinter der ZEDE steht.

"Próspera" ist eines der umstrittendsten Projekte in Honduras jüngerer Geschichte. Für die einen: die ersehnte Chance auf Wohlstand. Für die anderen: der Ausverkauf staatlicher Souveränität.

Enklave mit eigenen Regeln

Der Kopf dahinter, Erick Brimen, ist in Venezuela geboren, in den USA aufgewachsen und CEO von "Próspera Inc.". "Unsere Mission ist Wohlstand zu schaffen, wo er am meisten gebraucht wird", betont Brimen.

Und das soll so funktionieren: Per Gesetz aus dem Jahr 2013 tritt der Staat Honduras der ZEDE Hoheitsrechte ab. Die Enklave legt in einer Art Verfassung eigene Regeln fest. In Próspera gelten niedrige Steuersätze: zehn Prozent Einkommenssteuer, ein Prozent Grundstücksteuer.

Erick Brimen

Erick Brimen, CEO von Próspera erklärt, "unsere Mission ist Wohlstand zu schaffen, wo er am meisten gebraucht wird".

Alles wird zu privater Leistung

Bei Streit entscheiden nicht honduranische Gerichte, sondern Schiedsgerichte. Bildung, Gesundheit, Polizei, städtische Entwicklung - alles wird zu einer privaten Leistung. Die Regeln macht ein Stadtrat aus neun Personen, die teils von Unternehmen bestimmt, teils von den künftigen Bürgern gewählt werden.

Die Einwohner unterschreiben einen Vertrag. Für das Aufenthaltsrecht zahlen Ausländer 1300 US-Dollar pro Jahr, Honduraner 260 US-Dollar. Der Staat Honduras hat fast nichts zu melden.

60 Prozent der Menschen leben in Armut

So genannte "Charter Städte" gehen auf eine Idee des ehemaligen Weltbankchefs Paul Romer zurück. Ihr Ziel ist, Arbeitsplätze zu schaffen und dem Gastland zu zeigen, wie angeblich "gute Regierungsführung" geht, in diesem Fall in Honduras.

Tatsächlich leben hier mehr als 60 Prozent der Menschen in Armut, die Korruption grassiert, 14 Prozent der Bevölkerung haben das Land wegen fehlender Perspektiven verlassen.

Brimen verkauft Próspera deshalb als Chance: "Es wird Überlaufeffekte auf Honduras gesamte Wirtschaft geben, weil die Arbeitskraft und auch Materialien aus dem Land kommen werden."

Macht es der Markt besser?

Hinter der Privatstadt-Bewegung stehen marktradikale, ultra-liberale und libertäre Vordenker, die überzeugt sind, dass der Markt die Dinge besser regelt als der Staat.

Der deutsche Wagnis-Kapital Unternehmer Niklas Anzinger, der nach Próspera ziehen will, sieht sich selbst nicht in diesem Spektrum - ist aber von der Idee angetan. "Ich glaube, dass Markt-Prozesse offener sind für Veränderung", sagt er.

Doch auch demokratische Entscheidungen hätten ihren Platz - etwa um Diktaturen zu verhindern. Wem es in Próspera nicht gefällt, der könne ja wieder wegziehen, sagt Anzinger. CEO Brimen hofft sogar, dass sich künftig mehr Regionen den Próspera-Regeln anschließen werden. So expandiere die ZEDE. Freiwillig, betont er.

"Die werden wachsen wie ein Krebsgeschwür"

Im Fischerdörfchen "Crawfish Rock", nur einen Steinwurf von Próspera entfernt, haben sie genau davor Angst. Bisher leben die englisch-kreolsprachigen Inselbewohner in bescheidenen Holzhäuschen von dem, was das Meer und die Erde hergeben.

Gemeinde-Präsidentin Luisa Connor ist sicher, dass sie vertrieben werden, wenn ausländische Investoren nebenan das Sagen haben. "Die werden wachsen wie ein Krebsgeschwür", sagt sie.

Connor fürchtet, dass der Staat ihre Gemeinde im Auftrag von Próspera enteignen wird. Eine Modellstadt werde ein armes Fischerdorf in der Nähe nicht tolerieren, vermutet sie.

Zudem habe Próspera in der Gemeinde nur billige Arbeitskräfte gesucht. Sie nennt das Projekt "modernen Kolonialismus".

Luisa Connor

Gemeinde-Präsidentin Luisa Connor nennt das Projekt "modernen Kolonialismus".

Abschaffung war Wahlkampfthema

Ähnlich sieht das die aktuelle honduranische Regierung, die fieberhaft daran arbeitet, das Projekt zu stoppen. Die linksgerichtete Präsidentin Xiomara Castro hatte die Abschaffung des ZEDE-Gesetzes zu ihrem Wahlkampfthema gemacht.

Jetzt sitzt der dazu Beauftragte, Fernando Garcia, zwischen Aktenstapeln in der Hauptstadt und durchforstet minutiös das Regelwerk von Próspera. Er ist überzeugt: Das Gesetz aus 2013, das nach seiner Lesart einen Staat im Staate ermögliche, sei verfassungswidrig.

Die Regierung und die nationale Partei haben sich den Interessen der libertären Bewegung untergeordnet. Die brauchten ein Aushängeschild, also eine funktionierende Unternehmer-Stadt.
Fernando Garcia

Fernando Garcia soll im Namen der Regierung die gesetzliche Grundlage überprüfen. Er sagt, dahinter steckten korrupte Politiker der Vorgängerregierung.

Unerwünschtes Urteil - Richter ausgetauscht

Noch ein Jahr vorher war ein ähnliches Projekt am Verfassungsgericht gescheitert. Daraufhin wurden kritische Verfassungsrichter ausgetauscht.

2013 machten dann korrupte Politiker den Weg für die Privatstädte frei, sagt Garcia. An ein Jobwunder in Próspera glaubt er dagegen nicht.

Klage auf 10,7 Milliarden US-Dollar

Alles läuft auf ein Kräftemessen zwischen honduranischem Staat und Próspera hinaus. Der neue Kongress hat vergangenes Jahr in erster Lesung das ZEDE-Gesetz abgeschafft, um Próspera die Grundlage zu entziehen.

Noch steht allerdings eine zweite Abstimmung aus, für die eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich ist. Brimen, der CEO von Próspera Inc., beruft sich dagegen auf einen Vertrag, der ihnen 50-jährige Bestandsgarantie zusichere.

130 Unternehmen seien bereits registriert, und schon jetzt sei ein enormer Schaden entstanden. Er will Honduras auf 10,7 Milliarden US-Dollar Schadensersatz verklagen.

Die Regierung dagegen beauftragt nun international renommierte Anwälte, um den juristischen Kampf gegen die Investorenstadt zu gewinnen. Auf dem Gelände in Roatán werden unterdessen Fakten geschaffen: Bagger und Bauarbeiter arbeiten. Der Staat konnte die Bauarbeiten bisher nicht stoppen.

Die ausführliche Reportage zum Thema sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18:30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 05. Februar 2023 um 18:30 Uhr in der Sendung "Weltspiegel".