Argentiniens Vizepräsidentin "Ein echtes Erschießungskommando"
Mit Empörung und scharfen Vorwürfen reagiert Argentiniens mächtige Vizepräsidentin Kirchner auf ein Urteil, das gegen sie sechs Jahre Haft wegen Korruption verhängt. Läutet das das Ende ihrer Ära ein?
Sechs Jahre Haft, dazu lebenslanger Ausschluss von politischen Ämtern: Es ist kurz vor 18 Uhr Ortszeit in Buenos Aires, als am Dienstag das lang erwartete Urteil gegen die mächtigste Politikerin Argentiniens fällt.
Cristina Fernandez de Kirchner, frühere Präsidentin und aktuelle Vize, wird wegen der Veruntreuung öffentlicher Mittel schuldig gesprochen. Sie soll, gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Nestor Kirchner, einem befreundeten Bauunternehmer öffentliche Aufträge zugeschanzt und den Staat damit um Millionen gebracht haben. Ein Teil der überhöhten Baukosten sei später an das Ehepaar zurückgeflossen.
Kirchner wies die Vorwürfe zurück und warf der Justiz vor, aus politischen Motiven gegen sie zu ermitteln - sie bezeichnete das Gericht als "echtes Erschießungskommando".
Voreingenommene Richter?
Sie nahm dabei Bezug auf ein kurz zuvor von ihr ideologisch nahestehenden Medien veröffentlichtes Datenleak, das mehrere mit der Causa Kirchner befasste Richter und Staatsanwälte wegen einer gemeinsamen Reise mit mächtigen Medienunternehmern nach Patagonien belastete.
Auch Präsident Alberto Fernández stärkte seiner Vize den Rücken: Mit ihr sei eine unschuldige Person verurteilt worden. Vor dem Bundesgericht versammelten sich ein paar empörte Anhänger, wie Silvia Romagnolli, die Kirchner als "einzige politische Führerin dieses Landes" lobte, die Richter als "korrupt" bezeichnete und alle Vorwürfe der Richter als "Lüge" ablehnte.
Ihr Amt schützt sie
Die Verurteilung war erwartet worden, allerdings hatte die Staatsanwaltschaft zuerst zwölf Jahre gefordert. Kirchner genießt wegen ihres öffentlichen Amtes allerdings Immunität. Das heißt: Ihr droht keine unmittelbare Haft.
Zudem wird erwartet, dass sie gegen das Urteil Berufung einlegt und sich der Fall damit noch über Jahre hinzieht. Spekuliert wurde auch, dass Kirchner im Wahljahr 2023 erneut auf ein Amt kandidiert, um ihre Immunität zu halten.
Dem widersprach die Politikerin am Dienstag hörbar wütend - sie werde für keinen Posten kandidieren, weder für das Amt der Präsidentin noch für den Senat.
Geht die Ära Kirchner dennoch weiter?
Kirchner, die als eigentliche Strippenzieherin in der Regierungskoalition gilt, werde sich aus dem Fokus der Aufmerksamkeit ziehen, glaubt der politische Analyst Facundo Nejamkins.
Von einem "Ende der Ära Kirchner" möchte er dennoch nicht sprechen. Ihr Bedeutung in der argentinischen Politik sei auch dem Fehlen von Alternativen geschuldet.
Dazu passt: Aus dem Prozess gegen sie wurde - unabhängig von der Faktenlage - eine Art Glaubenskrieg. Keine andere Politikerin in Argentinien polarisiert so stark wie Kirchner.
Sie steht für den linken Flügel der derzeitigen Regierungskoalition, gilt als Strippenzieherin und genießt großen Rückhalt bei sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Jugendorganisationen.
Leidenschaftliche Zuneigung und Hass
So innig sie von ihren Anhängern geliebt wird, so leidenschaftlich wird sie von ihren Gegnern gehasst.
Zum schockierenden Sinnbild dieser Spaltung wurde der 1. September. Nachdem Anhänger zur Unterstützung der Ex-Präsidentin tagelang vor ihrer Wohnung im noblen Stadtteil Recoleta von Buenos Aires kampiert hatten, kam es zu einem Anschlagsversuch.
Ein Mann richtete aus kurzer Entfernung eine Waffe auf Kirchner. Der Schuss löste sich nicht, nach bisherigen Infos aufgrund von Ladehemmungen.