Lawrow in New York Ein ungern gesehener Gast
Seit Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen hat, ist die Sorge groß, dass der Kreml diese Position missbraucht. Der russische Außenminister Lawrow wird heute in New York erwartet. Er will eine Sitzung des Rates leiten.
Als Russland Anfang des Monats turnusgemäß den Vorsitz des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen übernahm, sprach EU-Außenbeauftragter Josep Borrell von einem April-Scherz. Der UN-Vertreter Moskaus, Wassily Nebensja, reagierte darauf leicht gereizt: "Dazu stelle ich nur eine rhetorische Frage: 'Wer ist das überhaupt, der das sagt?'"
Doch dass ausgerechnet der Aggressor im Ukraine-Krieg in diesem Monat die Präsidentschaft des wichtigsten UN-Gremiums inne hat, damit haben so gut wie alle westlichen Staaten ein Problem. Allen voran die USA. Die UN-Botschafterin der Vereinigten Staaten, Linda Thomas-Greenfield, kündigte an: "Wir werden jede Gelegenheit nutzen, um Russland daran zu hindern, den Vorsitz zu missbrauchen, um Desinformation zu verbreiten und um Unterstützung für diese Bemühungen zu werben."
Dann verließ sie aus Protest - zusammen mit den Vertretern Großbritanniens, Maltas und Albaniens - den Raum, als Anfang des Monats die per Haftbefehl gesuchte russische Kinderbeauftragte Maria Lwowa-Belowa per Video zugeschaltet wurde. Es war der bislang einzige große Eklat während der russischen Präsidentschaft.
"Plattform für Falschinformationen"
Richard Gowan von der Denkfabrik International Crisis Group meint: "Russland hat den Sicherheitsrat seit Februar vergangenen Jahres als Plattform genutzt, um Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine zu verbreiten. Ich glaube nicht, dass Russland es schafft, durch den Vorsitz jetzt zusätzliche Vorteile für seine Kampagne zu bekommen."
Auch wenn er die Sorgen, insbesondere der Ukraine, verstehen könne. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuletzt den Vorsitz Moskaus als "Bankrott" internationaler Institutionen bezeichnet und wiederholt den Ausschluss Russlands aus dem Sicherheitsrat gefordert.
"Russland könnte noch destruktiver handeln"
Gowan ist da skeptisch, nicht nur, weil es rechtlich gar nicht möglich wäre, das Land gegen seinen Willen auszuschließen. Er sagt: "Wenn Russland sich zurückgewiesen, isoliert oder aus den UN verbannt fühlt, dann könnte das Land noch destruktiver handeln und seinen Einfluss nutzen, um noch mehr Probleme etwa in Syrien oder Afghanistan zu schaffen. So schwer es auch ist: Ich denke, ein Sicherheitsrat mit Russland ist besser, als wenn Russland außerhalb wäre."
Für heute hat sich der russische Außenminister Sergej Lawrow in New York angekündigt. Er will persönlich eine Sitzung des Sicherheitsrates zum Thema Multilateralismus leiten. Bereits im Vorfeld gab es Wirbel um den Besuch: Die USA verwehrten russischen Journalisten, die Lawrow begleiten wollten, das notwendige Visum zur Einreise. Der russische Außenminister reagierte empört.
Eine eher unspektakuläre Sitzung?
Trotzdem geht UN-Experte Gowan davon aus, dass die heutige Sitzung eher unspektakulär verlaufen wird: "Es ist klar, dass Russland die Sitzung nutzen wird, um die USA zu beschuldigen, den Multilateralismus zu untergraben - etwa durch einseitige Sanktionen. Russland kann ziemlich zuversichtlich sein, dass China diese Position unterstützen wird. Einige Sicherheitsratsmitglieder, wie Brasilien, werden versuchen, einen Mittelweg zu finden. Aber am Ende des Tages wird das keine bedeutende Rolle in der Geschichte dieses Krieges spielen."
Wichtiger scheint da ein offenbar geplantes Treffen Lawrows mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu sein. Dabei soll es um die Zukunft des Getreideabkommens gehen. Russland hatte zuletzt wiederholt damit gedroht, die Vereinbarung über die sichere Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine zum 18. Mai auslaufen zu lassen.