NGO-Bilanz für 2023 Fast 200 Umweltschützer getötet
Sie kämpfen gegen Bergbau-Projekte, Abholzung oder Überfischung: Im vergangenen Jahr sind deswegen fast 200 Umweltschützer getötet worden, so ein NGO-Bericht. Die gefährlichste Region dabei: Lateinamerika.
Weltweit sind im vergangenen Jahr nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Witness mindestens 196 Umweltschützer getötet worden. Das gefährlichste Land für Naturschützer war Kolumbien (79 Fälle), gefolgt von Brasilien (25) sowie Mexiko (18) und Honduras (18), wie die Gruppe bei der Vorstellung ihres Jahresberichts mitteilte. 85 Prozent aller Morde wurden demnach in Lateinamerika registriert.
Viele Verbrechen bleiben ungesühnt
Damit stieg die Zahl der seit Beginn der systematischen Erhebung im Jahr 2012 getöteten Umweltschützer auf 2.106. "Während sich die Klimakrise beschleunigt, werden diejenigen, die ihre Stimme erheben, um unseren Planeten mutig zu verteidigen, mit Gewalt, Einschüchterung und Mord konfrontiert", sagt die Autorin des Berichts, Laura Furones. "Unsere Daten zeigen, dass die Zahl der Morde nach wie vor alarmierend hoch ist, eine Situation, die einfach inakzeptabel ist."
Die meisten Verbrechen bleiben ungesühnt. "Die Regierungen dürfen nicht untätig bleiben. Sie müssen entschiedene Maßnahmen ergreifen, um Aktivisten zu schützen und die Ursachen der Gewalt gegen sie zu bekämpfen", fordert Furones. "Die Aktivisten sind unverzichtbar, wenn es darum geht, Schäden zu verhindern und zu beheben, die durch klimaschädliche Industrien verursacht werden."
Gegner von Bergbau-Projekten besonders gefährdet
Zwar ist es nach Angaben von Global Witness schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Mord an Aktivisten und bestimmten wirtschaftlichen Interessen zu beweisen. Allerdings haben sich die meisten getöteten Umweltschützer gegen Bergbau-Vorhaben eingesetzt, gefolgt von Fischerei, Forst- und Landwirtschaft, Straßenbau und Wasserkraftwerken. "Wenn die Firmen, die diese Projekte durchführen, keine Verantwortung übernehmen, ist das Problem nicht zu lösen", sagt die in Mexiko tätige Menschenrechtsanwältin Alejandra Gonza.
Dort wurden im vergangenen Jahr beispielsweise zwei Aktivisten verschleppt, die sich gegen den Abbau von Eisenerz durch den argentinischen Bergbaukonzern Ternium im Bundesstaat Michoacán einsetzten. Die beiden Männer sind bis heute verschwunden - ihr Schicksal ist unklar.
Kolumbien gefährlichstes Land
Das mit Abstand gefährlichste Land für Naturschützer ist allerdings Kolumbien. 79 Aktivisten wurden im vergangenen Jahr dort getötet - so viele wie noch nie zuvor in einem Jahr in einem einzelnen Land. "Viele bewaffnete Gruppen profitieren von der Ausbeutung der Rohstoffe", erklärt Astrid Torres von der Organisation Somos Defensores.
Nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts sind in dem südamerikanischen Land zahlreiche kriminelle Banden aktiv. "Es gibt noch immer starke Verbindungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und paramilitärischen Gruppen", sagt Torres. Das führe dazu, dass viele Gewalttaten nicht konsequent verfolgt werden.
Indigene im Fadenkreuz
Bei der Gewalt gegen Umweltschützer sind Indigene deutlich überrepräsentiert. Sie machten im vergangenen Jahr 49 Prozent der Mordopfer aus, obwohl sie nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen. "Naturschützer, Verteidiger von Landrechten und Indigene werden oft als Gegner des Fortschritts gesehen", sagt Bertha Cáceres.
Ihre Mutter setzte sich in Honduras für die Rechte des indigenen Volks der Lenca ein und wurde 2016 in ihrem Haus erschossen. "Wir müssen die Wahrnehmung ändern: Fortschritt darf nicht Ausbeutung von Bodenschätzen bedeuten, sondern Schutz unserer Lebensgrundlagen."
Regierungen, aber auch Unternehmen in der Pflicht
Global Witness rief die Regierungen der betroffenen Länder auf, die Sicherheit von Umweltschützern zu gewährleisten, Angriffe auf Aktivisten konsequent zu dokumentieren und Opfern den Zugang zur Justiz zu verschaffen. "Solange die Gewalt gegen Naturschützer straflos bleibt, wird sie andauern", heißt es in dem Jahresbericht. Die Unternehmen müssten ihrerseits sicherstellen, dass es am Rande ihrer Lieferketten zu keinen Menschenrechtsverletzungen komme.