Schutz des Amazonas-Regenwalds Warum die "Null-Abholzung" eine Utopie ist
Goldgräber, Holzfäller und Viehzüchter - sie alle profitieren von der illegalen Rodung des brasilianischen Amazonas-Regenwalds. Präsident Lula will eine "Null-Abholzungsstrategie" - doch das wird wohl eine Utopie bleiben.
Wer in der Amazonas-Stadt Novo Progresso neben Werbeschildern für Kettensägen, Gold-Wechselstuben und Kabarett-Tanzlokalen Richtung Westen abbiegt und an der Stadtgrenze auf einer rumpeligen Holzbrücke den Jamanxim-Fluss überquert, ist angekommen in Brasiliens Wildem Westen.
Nach der Asphaltstraße geht es weiter auf einer roten Staubpiste. Bereits am Ortsausgang haben illegale Goldgräber ihre Späher sitzen, die per Funkwellen melden, sobald Brasiliens Umweltpolizei die Brücke für eine Razzia passiert.
Goldgräber nutzen Quecksilber
Nach fünf Stunden Fahrt steht man in einem Naturschutzgebiet - und dennoch sieht man überall reges Treiben. Mit Jeeps oder Motorrädern bringen Goldgräber Ersatzteile zu ihren Claims. Dort schürfen Tausende von ihnen unzählige fünf Meter breite Löcher in den Urwaldboden - in der Hoffnung auf fette Beute. Sie nutzen dafür Quecksilber und hinterlassen eine Art Mondlandschaft.
Dass der Amazonas die größte verbliebene Regenwaldfläche der Erde ist, wissen sie. Seine Ausdehnung entspricht der Entfernung von Berlin nach Bagdad und es existieren hier mehr als 40.000 Pflanzen- und 427 bekannte Säugetierarten. Doch die Goldgräber interessieren sich eher dafür, wie sie ihre Familien ernähren und ihren Kindern ein Studium finanzieren können. In dieser Gegend gebe es nichts Lukrativeres als das Schürfen, sagen sie. Außerdem sei es "ehrliche Arbeit".
Mitten im Regenwald werden illegale Camps errichtet.
200 Millionen Euro aus Deutschland für Aufforstung
Dass in Brasilien nun der linke Präsident Lula da Silva eine "Null-Abholzungsstrategie" bis 2030 verkündet hat, ließ Regierungen wie die Ampel in Deutschland jubeln. Deutsche Regierungsvertreter reisen seitdem hoffnungsvoll nach Brasilien und geben sich die Klinke in die Hand: erst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Umweltministerin Steffi Lemke, danach Bundeskanzler Olaf Scholz, zuletzt Wirtschaftsminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze versprach bei ihrem Besuch Ende Januar 200 Millionen Euro Amazonas-Soforthilfe für die ersten 100 Tage der Lula-Regierung.
Amazonasfonds unter Lula wieder aktiviert
Mit dem Geld, das nur einen Anfang darstellt, werden Projekte für Aufforstung und Unterstützung von Kleinbauern finanziert. Es geht dabei um die nachhaltige Nutzung des Amazonaswalds, der als einer der Kipppunkte des Klimas erhalten werden soll.
Auch der Amazonasfonds wurde mit Lula wieder aktiviert, der den Schutz des Urwalds zum Ziel hat - beispielsweise mit der Finanzierung von Löschflugzeugen für die Brandbekämpfung.
Immer wieder brennen weite Teile des Regenwalds ab. Bislang ist der Amazonas seit Beginn der Aufzeichnungen jedes Jahr geschrumpft.
322 Quadratkilometer Regenwald im Februar zerstört
Lulas Versprechen, die illegale Abholzung bis 2030 stoppen zu wollen, dürfte jedoch kaum einzulösen sein. Das zeigen die Abholzungsdaten vom Februar. Laut dem staatlichen Institut für Weltraumforschung (INPE) wurden allein im Februar 322 Quadratkilometer Amazonasregenwald zerstört - eine Fläche so groß wie München und ein Anstieg von 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nie zuvor seit Beginn der Satellitenüberwachung wurde in einem Februar mehr Urwald abgeholzt.
Es zeigt, wie mühsam der Kampf gegen Invasoren ist, seit Ex-Präsident Jair Bolsonaro die staatlichen Umweltschutzmaßnahmen gezielt und systematisch geschwächt hatte. Er ermunterte illegale Holzfäller, Goldgräber und Viehzüchter geradezu, den Regenwald wirtschaftlich zu nutzen - selbst in indigenen Schutzgebieten.
Bolsonaro knüpfte an Amazonaspolitik der 1960er-Jahre an
Bolsonaro und seine Anhänger haben dabei die Amazonaspolitik der 1960er- und 1970er-Jahre im Kopf. Damals hatten die Militärdiktatoren die Kontrolle des Urwalds als oberste Devise ausgegeben. Dafür bauten sie tausende Kilometer lange Straßen durch den Regenwald und siedelten Menschen aus entfernten, ärmeren Regionen an.
Seitdem ist die Amazonas-Bevölkerung förmlich explodiert und jeder Bewohner will für sich ein kleines Stück Wohlstand aufbauen. Viele scheuen nicht vor illegalen Methoden zurück.
Auch deshalb hatte die Urwaldzerstörung in den 1990er-Jahren gewaltige Ausmaße angenommen. 1995 wurde die bis dato größte Abholzung registriert: Mehr als 29.000 Quadratkilometer Urwald wurden innerhalb von zwölf Monaten zerstört. Das entspricht fast der Fläche Belgiens. Als Lula 2003 seine erste Amtszeit antrat, stärkte er die Umweltschutzmaßnahmen, sodass 2012 der bis heute niedrigste Jahreswert erreicht wurde. Unter Ex-Präsidentin Dilma Rousseff schrumpfte der Urwald lediglich um 4600 Quadratkilometer - eine Fläche fast doppelt so groß wie das Saarland.
Geschwächte Umweltpolizei und leere Kassen
Unter Bolsonaro stieg die Abholzung 2022 wieder an, auf mehr als das Doppelte mit 11.600 Quadratkilometern. Deutschland hofft nun darauf, dass Lula erneut das Ruder herumreißt. Er hat dafür mit Marina Silva zwar eine Umweltministerin ernannt, die seit Jahrzehnten für den Erhalt dieses Ökosystems kämpft, dennoch gibt es unzählige Hürden.
Lula muss die Umweltpolizei, die Bolsonaro personell und finanziell geschwächt hatte, schlagkräftig machen für ihre Razzien in diesem riesigen Gebiet. Darüber hinaus muss er viele weitere Schutzmaßnahmen hochfahren. Das kostet viel Geld, was Lula beim Blick in seine Kasse eigentlich nicht zur Verfügung steht.
Finanzielle Hilfen aus dem Ausland nötig
Daher setzt Brasiliens Präsident auch auf finanzielle Hilfen für Urwaldschutz aus dem Ausland. Aus Deutschland kommt dabei grünes Licht. Die Bundesregierung will sich im Rahmen des globalen Klimaschutzes stärker in Südamerika engagieren. Doch das dürfte dauern, denn die dauerhafte Kontrolle über ein derart großes und schwer zugängliches Gebiet ist schwierig zu erlangen.
Dazu kommen ineffiziente Praktiken. So steht bei Viehzüchtern, die frisch gerodete Gebiete nutzen, oft gerade mal ein Tier auf einem Hektar Land. Im Hintergrund agieren nicht selten Spekulanten, die sich durch Rodungen eine goldene Nase verdienen, weil dadurch der Grundstückswert steigt.
Außerdem ist leicht zu übersehen, dass die Abholzung nicht nur im Amazonas hoch ist, sondern auch in anderen Urwäldern Brasiliens wie dem Cerrado und dem Atlantik-Regenwald, die nicht selten aus dem Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit geraten.
"Null-Abholzungsstrategie" bis 2030 kaum zu erreichen
Die "Null-Abholzungsstrategie" für den Amazonas, die Präsident Lula versprochen hat, dürfte wohl bis 2030 kaum erreichbar sein. Sie wirkt eher wie eine Losung im Kampf gegen die Rückschritte der Bolsonaro-Regierung. Seit Beginn der Aufzeichnungen ist der Amazonas mit jedem Jahr geschrumpft - auch unter Lulas früheren beiden Amtszeiten. Dass dies jemals aufhört, könnte sich bald schon als Utopie herausstellen.
Die Goldgräber in Novo Progresso zumindest werden das Gleiche tun wie eh und je, sollte die Umweltpolizei bei ihnen auftauchen. Sie verstecken sich mit ihren Motoren, dem Gold und dem Treibstoff für ein paar Tage tief im Dschungel, bevor sie zurückkehren und weiter schürfen wie bisher.