Nahost-Konferenz in Annapolis "Die Erwartungshaltung ist gering"
Mit unterschiedlichen Vorstellungen reisen Israels Ministerpräsident Olmert und Palästinenserpräsident Abbas zur Nahost-Konferenz nach Annapolis. Entscheidend sei, was nach der Konferenz geschieht, sagt ARD-Korrespondent Clemens Verenkotte im Gespräch mit tagesschau.de.
Mit unterschiedlichen Vorstellungen reisen Israels Ministerpräsident Olmert und der Palästinenserpräsident Abbas zur Nahost-Konferenz nach Annapolis. Entscheidend sei, was nach der Konferenz geschieht, sagt ARD-Hörfunkkorrespondent Clemens Verenkotte im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Am Dienstag beginnt in Annapolis bei Washington die erste Nahost-Konferenz seit sieben Jahren. Die Erwartungen sind hoch. Neben den Konfliktparteien sind alle arabischen Staaten, Vertreter internationaler Organisationen und weitere Länder, darunter auch Deutschland, eingeladen. Was sind die Knackpunkte der Konferenz?
Clemens Verenkotte: Es gibt sehr unterschiedliche Erwartungshaltungen. Auf israelischer Seite geht es zunächst darum, dass diese Konferenz überhaupt stattfindet und damit eine Perspektive für anschließende Gespräche zur Etablierung eines palästinensischen Staates und zur Beilegung des Nahost-Konflikts eröffnet wird.
Die Palästinenser möchten dagegen unmittelbar nach Annapolis mit den Israelis in Verhandlungen treten. Abbas will einen klar definierten Zeitplan. Aus palästinensischer Sicht müssen die Friedensverhandlungen innerhalb von acht Monaten abgeschlossen sein. Sie erwarten klare Leitlinien zu den Streitthemen wie Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates, zur Grenzziehung zwischen Israel und einem palästinensischen Staat und zur Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge.
tagesschau.de: Was kann Israel bei diesen großen Gegensätzen überhaupt von der Konferenz erwarten?
Verenkotte: In Israel ist die Erwartungshaltung sehr gering. Eine Mehrheit in den jüngsten Meinungsumfragen sagt, Olmert mache das nur, um seine nach wie vor sehr schwache innenpolitische Lage zu stabilisieren. Für Abbas geht es ums Geld. Es gibt im Dezember eine Geberkonferenz der internationalen Gemeinschaft in Paris. Dabei geht es um den Haushalt der palästinensischen Autonomiebehörde für das Jahr 2008. Falls Abbas in Annapolis die Erwartungen halbwegs erfüllt und es zu einer wie auch immer gearteten Abschlusserklärung kommt, kann er damit rechnen, dass er in Paris das Geld bekommt, das er braucht.
tagesschau.de: Welche Rolle nimmt die Hamas bei den Verhandlungen ein?
Verenkotte: Man darf nicht vergessen, dass bei allen Verhandlungen ein wesentlicher Teil der palästinensischen Gebiete, nämlich der Gaza-Streifen, völlig außen vor ist. In den verschiedenen Varianten einer gemeinsamen Erklärung von Abbas und Olmert, die gegenwärtig zirkulieren, wird noch nicht einmal erwähnt, dass der Gaza-Streifen aufgrund der Hamas-Herrschaft abgesperrt ist und das nach wie vor Extremisten vom Gaza-Streifen aus Kassam-Raketen auf die Grenzstadt Sderot schießen. Und es wird auch nicht erwähnt, dass es in Gaza ab Anfang Dezember zu den angekündigten Strom- und Benzinreduzierungen kommen wird. Das heißt im Klartext: Es wird eine Konferenz stattfinden, die einen Teil der palästinensischen Politik außen vor lässt – nämlich die Hamas. Wenn bei den Verhandlungen nicht sehr viel herauskommt, kann sie sich hinstellen und sagen: "Wir haben schon immer gesagt, dass Verhandlungen zu nichts führen."
tagesschau.de: Offensichtlich verstehen sich Olmert und Abbas gut, die Verhandlungen mit Abbas scheinen leichter als mit seinem Vorgänger Jassir Arafat.
Verenkotte: Das ist völlig richtig. Die Gespräche zwischen Abbas und Olmert sind wie man von beiden Regierungsseiten hört, in einer außerordentlich guten Atmosphäre verlaufen. Die beiden Politiker verstehen sich offenkundig sehr gut.
tagesschau.de: Auf der anderen Seite befindet sich Olmert unter innenpolitischen Druck, Korruptionsvorwürfe haften an ihm - wie weit steht er deswegen unter Erfolgsdruck, was ist in seiner Regierung überhaupt durchsetzbar?
Verenkotte: Olmert wurden in den vergangenen Tagen und Wochen schon deutlich die Folterinstrumente von Teilen seiner Koalitionsregierung gezeigt. Da ist zum einen die ultra-orthodoxe Shas-Partei, die ganz deutlich gesagt hat, dass, wenn es um die Kernthemen geht, beispielsweise die Teilung Jerusalems, sie die Regierungskoalition verlassen wird. Da ist zum zweiten die sehr weit rechts stehende russische Einwanderungspartei Israel Beiteinu, die gleichermaßen angekündigt hat, sie wolle die Reißleine ziehen. Und man darf die Arbeiterpartei unter Verteidigungsminister Ehud Barak, dem ehemaligen Regierungschef nicht vergessen. Das ist Olmerts wichtigster Koalitionspartner und auch ein unsicherer Kantonist.
tagesschau.de: Jahrelang ist der Friedensprozess vom Weißen Haus vernachlässigt worden. Woher kommt das US-Interesse am Frieden im Nahen Osten?
Verenkotte: Es dürfte ein Reflex darauf sein, dass sich nun die Folgen der Vernachlässigung dieses Konflikts bemerkbar machen. US-Präsident Bush braucht für seine außenpolitischen Ziele, falls er sie innerhalb seiner restlichen Amtszeit erreichen will, eine Stabilisierung der Lage im Irak, eine weiterhin gedeihliche Zusammenarbeit mit den sogenannten moderaten arabischen Staaten. Das sind Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien. Bush hat die Annapolis-Konferenz im Juli dieses Jahres zwar selber angestoßen. Viele Beobachter sprechen aber davon, dass die Initiative relativ unvorbereitet in die Welt gesetzt wurde. Zunächst wusste niemand, was die Konferenz erzielen soll, noch wer daran außer den Konfliktparteien teilnehmen soll. Das hat viele Beobachter zu der Einschätzung gebracht, dass es hier um eine Notlösung geht. Bush möchte die arabischen Staaten in Annapolis ein wenig milder stimmen gegenüber seiner Nahostpolitik.
Die Fragen stellte Matthias Stelte, tagesschau.de