Baerbocks Indien-Reise Partner mit Potenzial
Es war eine Art Schnellkurs für die deutsche Außenministerin in Sachen Indien: Keine 48 Stunden dauert der Antrittsbesuch von Annalena Baerbock im 1,4-Milliarden-Einwohner-Staat - der für Deutschland immer wichtiger wird.
Für die Menschen in dem kleinen indischen Dorf Khori ist die Weltpolitik weit weg: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, China, der indische G20-Vorsitz - all das spielt sich irgendwo da draußen ab. Hier fragen sich die Bewohner: Wird meine Familie morgen genug zu essen haben und wie viele Stunden bekomme ich heute Strom - falls überhaupt.
Zumindest das Energieproblem ist für nicht wenige im Dorf gelöst: "Wir überleben seit dem Jahr 2000 Dank Solarenergie", erzählt nicht ohne Stolz Sunder Lal, Leiter einer vor Ort tätigen Hilfsorganisation. Worüber heutzutage die ganze Welt und ganz Indien rede, über Sonnenenergie, rede man hier seit über 20 Jahren, erzählt Lal.
Er führt der deutschen Außenministerin vor, wie es nun auch gelinge, durch Solarstrom Wasserpumpen zu betreiben, um die gerade in gelber Blüte stehenden Senfblumen-Felder zu bewässern. Was für Annalena Baerbock, wie sie während ihres Ausflugs in das ländliche Indien bekundet, ein Beleg dafür ist, "dass Indien das Potential hat, Lichtjahre beim Klimaschutz zu überspringen. Nämlich nicht in die Falle der Fossilen erst treten zu müssen."
Indien als Partner gegen die chinesische Wirtschaftsmacht
Nun ist das zwei Autostunden von Delhi entfernt liegende Khori in vielerlei Hinsicht eine Art "Vorzeigedorf" und hat - im Gegensatz zu so vielen anderen in Indien - wenn schon nicht "Lichtjahre", so doch in der Entwicklung ein paar Jahrzehnte übersprungen.
Außer Frage steht jedenfalls das deutsche Anliegen, die Beziehungen zu Indien zu vertiefen. Auch, aber nicht nur um des Klimaschutzes willen. Ist es doch strategisches Ziel, sich wirtschaftlich unabhängiger von China zu machen. Da drängt sich die "größte Demokratie der Welt", wie Indien oft genannt wird, geradezu auf.
Auffällig oft verwendet Annalena Baerbock auf ihrer Reise denn auch das Wort "Wertepartnerschaft": "Wir haben in Deutschland erlebt, was es bedeutet, wenn man sich von einem Land abhängig macht, das seine Werte nicht teilt", betont die Außenministerin und meint, ohne es namentlich zu nennen, Russland.
Indien pocht auf Energiepartnerschaft mit Russland
Was Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine betrifft, so stellte Delhi allerdings einmal mehr unmissverständlich klar, dass es sich von niemandem vorschreiben lässt, wie es sich gegenüber Moskau verhält oder woher es sein Öl bezieht: "Schauen wir uns erstmal die Fakten an", entgegnete Indiens Außenminister Jaishankar auf die Frage, warum sein Land Putin zunehmend verbilligtes Öl abkaufe. Und rechnete dann vor, dass Europas Energieimporte aus Russland seit Kriegsbeginn jene aus Indien um ein Vielfaches überstiegen.
Nun hat Indien sich in der Wortwahl gegenüber Putin seit Kriegsbeginn durchaus bewegt, Regierungschef Modi prägte unlängst den Satz, dass "dies nicht das Jahrhundert des Krieges sei". Auch wenn das sicher keine glasklare Verurteilung darstellt, will Baerbock darin doch eine "Absage" an den russischen Angriffskrieg sehen, betont sie auf ihrer Reise und lobt den "internationalen Druck" auf Russland, zu dem Indien beitrage. Indes: Anzeichen dafür, dass die Regierung in Neu Delhi eindeutig auf die deutsch-europäische Linie einschwenkt, gibt es nicht. Wertepartnerschaft hin oder her.
Inspiration von Baerbocks "feministische Außenpolitik"
Völlig unbehelligt von diesem Krieg bleiben selbst die Menschen in dem abgelegenen nordindischen Dorf Khori nicht: Sind doch seit Februar die Preise für Lebensmittel im ganzen Land deutlich gestiegen. Gänzlich abgekoppelt von der Weltpolitik lebt also auch in Indien kaum jemand.
Was Annalena Baerbock betrifft, so hat die bei ihrem Antrittsbesuch eine Art Zwei-Tage-Indien-Crashkurs erlebt. Sie hat die hochmoderne Delhi-Metro getestet, in einem Tempel beim Brotteig-Ausrollen geholfen und einen ersten Eindruck der chaotisch-wuseligen Altstadt in der 21-Millionen-Metropole bekommen.
Von ihrem Ausflug auf das Land schließlich bringt die Grünen-Politikerin eine Idee zurück nach Deutschland: Auf einem Eingangstor der Hilfsorganisation steht auf Hindi in großen Lettern sinngemäß der Satz: Nur ein Land, das alle gleichberechtigt behandelt, also auch Frauen, kann wirklich wirtschaftlich sein Potential entfalten. Diesen Satz, meint Baerbock, müsse man fotografieren und als Leitsatz für ihre "feministische Außenpolitik" verwenden.