Covid-Welle in China Millionen Infizierte, viele Tote
Täglich eine Million Covid-Infizierte und Tausende Tote. Das sind Schätzungen, denn die offizielle Zahlen sind davon weit entfernt. Notkrankenhäuser werden eröffnet, Ärzte sind am Limit und die Sorge vor neuen Virusvarianten wächst.
Mehr Verkehr, vollere Fabriken, aber auch viele Infektionen: China spürt das Ende der Null-Covid-Politik deutlich. Schätzungsweise eine Million Neuinfektionen gibt es pro Tag im Land. Das britische Forschungsinstitut Airfinity geht von derzeit täglich mehr als 5000 Corona-Toten aus. Die laufende Infektionswelle wird nach ihren Modellrechnungen im Januar und März zwei Höhepunkte mit möglicherweise 3,7 Millionen beziehungsweise 4,2 Millionen Fällen am Tag erleben.
Die offiziellen Zahlen sind davon allerdings weit entfernt. Die Nationale Gesundheitskommission spricht von 3761 neuen Corona-Fällen mit Symptomen gegenüber 3030 am Vortag, neue Todesfälle werden nicht gemeldet, die Gesamtzahl der Opfer verharrt damit bei 5241.
Krematoriumsmitarbeiter im Osten Pekings berichten, dass sie ein Vielfaches mehr zu tun haben als sonst. Auf der Zufahrtstraße stauen sich die Leichenwagen und zu solchen umfunktionierte Minivans. Nach wenigen Minuten kommt die Polizei. Ausländische Journalisten sind hier nicht erwünscht. Die chinesische Staats- und Parteiführung möchte nicht, dass diese Informationen nach außen dringen. Die kommunistische Regierung spricht von milden Krankheitsverläufen bei der hochansteckenden Omikron-Variante.
Sorge vor neuen Varianten
Die Regierung eröffnet nun Fieberkliniken und Notkrankenhäuser und drängt Medikamentenhersteller dazu, schneller Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol zu produzieren. Außerdem beobachten die chinesischen Gesundheitsbehörden die mögliche Entwicklung neuer Virus-Varianten.
Alle Provinzen müssten drei Krankenhäuser in jeweils drei Städten auswählen, die jede Woche Proben von 15 Infektionen, zehn schweren Erkrankungen und allen Toten sammelten, berichtete der Direktor des Virus-Instituts des nationalen Gesundheitsamtes, Xu Wenbo, nach Angaben von Staatsmedien.
Nach der Entschlüsselung und Analyse der Genome sollen die Untersuchungsergebnisse innerhalb einer Woche berichtet werden. So könnten die gegenwärtigen Omikron-Varianten sowie "mögliche Symptome, Übertragungsfähigkeiten und Pathogenität neuer Varianten mit potenziellen biologischen Veränderungen" in Echtzeit beobachtet werden, zitierte ihn die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Keine Flugverbindung mehr nach China?
Die Infektionswelle besorgt auch Politiker in Deutschland: So fordert der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, einen Stopp der Flugverbindungen mit der Volksrepublik. "Die durch die verfehlte Corona-Politik der chinesischen Regierung verursachten explodierenden Covid-Zahlen in China bedrohen die ganze Welt mit einer neuen Infektionswelle", sagte der CDU-Abgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Wir dürfen den Fehler von vor drei Jahren nicht wiederholen und sollten jetzt alle Flugverbindungen von und nach China sofort einstellen."
Das Bundesverkehrsministerium wies diesen Vorstoß jedoch zurück. "De facto finden kaum noch Flüge zwischen Deutschland und China statt, erklärte ein Sprecher.
Der CDU-Außenpolitiker sprach sich zudem dafür aus, das Angebot an Peking zu erneuern, dort wirksame mRNA-Impfstoffe einzusetzen. Die "Arroganz" von Chinas Präsidenten Xi Jinping sei "schier grenzenlos", sagte Hardt, der Xi zudem als "Diktator" bezeichnete. "Seine Hybris kostet jeden Tag Menschenleben im eigenen Land."
Der gesundheitspolitische Grünen-Fraktionssprecher Janosch Dahmen warb mit Blick auf China und den hohen Krankenstand hierzulande dafür, wieder häufiger Masken zu nutzen. "Nicht nur wegen der Entwicklung in China, sondern auch wegen der übrigen Atemwegserkrankungen in Deutschland ist es wichtig, dass wir die Maske in Innenräumen wieder viel mehr nutzen - völlig unbenommen, welche Regeln gelten", sagte er dem RND. Auch er äußerte sich besorgt über mögliche neue Varianten durch die hohen Infektionszahlen in China.
Chinas Kehrtwende in der Corona-Politik
Nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Zwangsquarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung hatte das bevölkerungsreichste Land am 7. Dezember seine harte Null-Covid-Politik abrupt aufgehoben. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen.
Der Epidemiologe Ben Cowling von der Universität Hongkong sieht die Öffnung im Winter kritisch. Außerdem wäre eine Vorwarnung für die Bevölkerung dringend notwendig gewesen: "Das wäre die Gelegenheit für die Krankenhäuser gewesen, sich vorzubereiten, Vorräte an Arzneimitteln anzulegen, zum Beispiel auch von antiviralen Medikamenten", sagt Cowling. "Dazu eine Booster-Kampagne für Viertimpfungen mit einem zweimonatigen Zeitfenster, damit alle die Chance haben, ihre Auffrischung zu bekommen."
"Gesundheitsbehörden verzerren relevante Informationen"
Der frühere Uni-Dozent Wu Qiang hält die chinesische Bürokratie für zu festgefahren, um eine Änderung vorzubereiten. Er gehört zu den wenigen Chinesen, die sich noch kritisch im Land äußern. Die extrem strenge Politik habe die Fähigkeit der Entscheider eingeschränkt, sich auf einen Politikwechsel vorzubereiten, so Wu Qiang. "Gleichzeitig haben sie in den vergangenen drei Jahren Ressourcen verschwendet, indem sie Geld in den Bau von Quarantäne-Lagern gesteckt und alle Verwaltungskräfte für die Kontrolle eigesetzt haben – ohne, dass sich das öffentliche Gesundheitssystem verbessert hat."
Dabei hätten auch chinesische Wissenschaftler verstanden, dass das Virus immer ansteckender wurde und dass die Null-Covid-Politik nicht auf Dauer funktioniere, so Wu Qiang. Doch den meisten chinesischen Wissenschaftlern sei es verboten, ihre Meinung zu äußern. "Die wenigen sogenannten Wissenschaftler von der Gesundheitsbehörde, die berechtigt sind, ihre Meinung zu sagen, verzerren relevante Informationen für Chinas Öffentlichkeit und auch für die Entscheidungsträger."