China Nach den Protesten bleibt die Angst
Die Demonstrationen in China sind offenbar nahezu verstummt - doch viele fürchten harte Konsequenzen. Denn noch immer sucht die Polizei nach Protestierenden, per Blick in die Handydaten.
In der U-Bahn in Shanghai gehen Polizisten durch die Reihen. Sie kontrollieren nicht die Fahrscheine, sondern die Handys der Menschen. Sie schauen nach verdächtigen Fotos und Videos von den Protesten Ende November. Und nach ausländischen Apps wie Twitter, Telegram und WhatsApp. Denn über die sollen sich die Menschen in China zu den Protesten verabredet haben. "Es ist beängstigend", sagt ein Passant:
Wenn die Polizei sagt, du sollst dein Handy entsperren, dann kannst du nichts dagegen tun. Du musst dich fügen, denn es gibt keine wirkliche Rechtsstaatlichkeit. Wenn du dich weigerst, können sie dich festnehmen und du weißt nicht, was mit dir passiert. Und das ist es, wovor jeder Angst hat: Dass man von der Polizei festgenommen wird.
Seine eigenen Fotos und Videos hat dieser Mann vorsichtshalber auf eine ausländische Datenplattform übertragen.
Tipps zum Verstecken der eigenen Daten
Seit mehreren Tagen warnen sich die Menschen gegenseitig auf alternativen Messengern wie Telegram, auf welchen Straßen Passanten kontrolliert werden. Es gibt Tipps, wie man seine Daten auf dem Handy verstecken und quasi für die Behörden unsichtbar machen kann.
Auch auf VPNs werden die Handys überprüft. Das sind virtuelle Tunnel, mit denen Nutzer aus dem zensierten chinesischen Internet ins weltweite, freie Internet kommen können. Diese sind in China verboten.
Polizei scheint immer einen Schritt voraus
Die Proteste in Shanghai und anderen Städten sind erstickt worden. Auch durch die vielen Überwachungskameras mit Gesichtserkennung auf den Straßen fürchten die Menschen im Nachhinein Konsequenzen.
Hier und da gibt es auf Twitter Hinweise auf Zusammenkünfte. Doch vor Ort steht nur Polizei. Der Eingang vor einem Universitätscampus in Shanghai zum Beispiel - voll abgesichert. Die Polizei scheint immer einen Schritt voraus.
Hongkong: Druck durch Nationales Sicherheitsgesetz
In der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong machen sich einige Studierende Sorgen um die Menschen, die in Festland-China bereits festgenommen wurden. Sie wollen helfen, denn in Hongkong gibt es noch Zugang zum freien Internet und zu ausländischen Apps.
Doch auch sie stehen unter Druck. Mit dem, was sie tun, könnten sie gegen das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong verstoßen, welches alles kriminalisieren kann, was sich gegen die Kommunistische Staats- und Parteiführung richtet.
"Ich helfe dabei, Informationen zu verbreiten. Ich verbreite einige der Videos auf Twitter und auf anderen Online-Plattformen. Ich hoffe also, dass auf diese Weise mehr Menschen erfahren, was in China passiert", sagt einer der Studierenden dem ARD-Studio Shanghai. Die Internetsperren in China und die stichprobenartigen Kontrollen der Handys durch die Polizei werden seiner Auffassung nach "definitiv mehr Proteste verhindern". Denn wenn die Menschen keine Möglichkeiten hätten, Informationen zu teilen, werde es schwierig, sich zu organisieren.
Erinnerung an Niederschlagung der Proteste 2019
Aus Solidarität haben manche Studierende vergangene Woche auch in Hongkong einen kleinen Protest organisiert. Es war nur etwa ein Dutzend Menschen gekommen. Die gewaltsame Niederschlagung der prodemokratischen Proteste in Hongkong im Jahr 2019 ist noch nicht lange her. Für viele ist das noch zu frisch. Viele Aktivisten von damals sind festgenommen worden. Trotzdem wollten einige auch jetzt ein Zeichen setzen.
"Ich bin zu dem Protest gegangen, aber ich habe mich nicht richtig angeschlossen, weil ich mich nicht mutig genug fühle", sagt einer der Teilnehmer an dem Hongkonger Protest:
Ich schäme mich ein bisschen, weil ich mich nicht an die vorderste Front gestellt habe. Ich habe nicht einmal ein weißes Blatt Papier hochgehalten, um meiner Wut Luft zu machen. Aber ich stand einfach dabei. Ich bin stolz auf die Chinesen auf dem Festland, die protestiert haben. Ich denke, sie sind so mutig.
Die Hongkonger Studierenden, die mit der ARD gesprochen haben, glauben, dass es mit den Protesten in China erst einmal vorbei ist. Der Druck der chinesischen Staats- und Parteiführung sei zu groß. Außerdem sind in den vergangenen Tagen in China vielerorts Corona-Maßnahmen gelockert worden. Diese waren für viele der Auslöser für die Proteste.