Erdbeben in der Türkei und Syrien Opferzahl steigt auf mehr als 35.000
Nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien werden nur noch wenige Überlebende gerettet. Die Zahl der Toten stieg auf mehr als 35.000. Mehrere deutsche Hilfsteams beendeten mittlerweile ihren Einsatz.
In der Türkei und Syrien gibt es kaum noch Hoffnung, Überlebende des Erdbebens zu retten. Sechs Tage nach den verheerenden Erdstößen bergen die Einsatzkräfte vor allem Todesopfer. Ihre Zahl ist mittlerweile auf mehr als 35.000 gestiegen.
In Syrien ist die Zahl der Toten offenbar weitaus höher als bisher angenommen. Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind in den Rebellengebieten im Nordwesten mindestens 4500 Menschen ums Leben gekommen, in Regionen unter Regierungskontrolle etwa 1400. Die Zahlen nannte der Nothilfekoordinator für die WHO-Region Östliches Mittelmeer, Richard Brennan, in Damaskus. Er sagte auch, die Zahl dürfte weiter steigen.
In der Türkei liege die Zahl der Toten bei 29.605, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad.
Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Zahl der Todesopfer auf etwa 50.000 steigen könnte. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte dem Sender Sky News, die Opferzahl könnte sich "verdoppeln oder mehr". Schätzungen seien aber schwierig.
Weiterhin große Probleme bei Hilfe für Syrien
Noch immer sind viele der betroffenen Gebiete schwer zugänglich. Vor allem die Hilfe für Opfer im Nordwesten Syriens geht nur schleppend voran. Derzeit ist der Grenzübergang Bab al-Hawa der einzige geöffnete Übergang für Hilfslieferungen nach Syrien.
Nach Angaben der WHO erwägt Syriens Machthaber Baschar Al-Assad nun aber, weitere Grenzübergänge zu öffnen, um Hilfe für die Erdbebenopfer in den Rebellengebieten zu ermöglichen. Assad habe seine Bereitschaft angedeutet, "zusätzliche grenzüberschreitende Zugangspunkte für diesen Notfall in Betracht zu ziehen", sagte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus nach einem Treffen mit Assad in Damaskus.
Lieferungen von Miliz gestoppt
Die Nachrichtenagentur dpa erfuhr aus Regierungskreisen, dass eine geplante Lieferung von Hilfsgütern aus Regierungsgebieten in die Provinz Idlib gestoppt wurde. Aktivisten zufolge blockierte die militant-islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die das Gebiet dominiert, die Lieferung. HTS habe 40 Prozent der Güter gefordert mit der Auflage, den Rest selbst zu verteilen, erfuhr die dpa aus Kreisen der syrischen Opposition. Dies habe die Regierung abgelehnt.
Die Hilfsorganisation Kurdischer Roter Halbmond berichtete, dass ihr Hilfskonvoi etwa 50 Kilometer vor Aleppo gestoppt worden sei. Die Regierung würde die Weiterfahrt nur mit der Auflage genehmigen, dass die Helfer die Hälfte der Güter und mindestens eine Ambulanz abgegeben.
In sozialen Medien machten über das Wochenende Fotos von Aktivisten die Runde, die über der stark betroffenen Kleinstadt Dschindiris die blaue Flagge der Vereinten Nationen kopfüber hissten. Familien der Opfer würden die UN damit symbolisch verurteilen, weil diese keine Hilfe für die Verschütteten möglich gemacht hätten, schrieb der bekannte syrische Oppositionelle Usama Abu Said.
Eine erste Lieferung von UN-Hilfsgütern war am Donnerstag - und damit erst drei Tage nach der Erdbebenkatastrophe - über Bab al-Hawa angekommen. Am Freitag folgte ein weiterer Konvoi mit 14 Lastwagen, die unter anderem Zelte brachten. Am Samstag überquerten dort 22 weitere Lastwagen die türkisch-syrische Grenze mit Gütern unter anderem von der WHO und dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF.
UN üben Selbstkritik zur Versorgung Syriens
Von den Vereinten Nationen gab es zu der schleppenden Hilfe für Syrien auch Selbstkritik. "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", schrieb der UN-Nothilfekoordinator Griffiths auf Twitter während eines Besuchs in der syrisch-türkischen Grenzregion.
Diese Menschen hätten das Gefühl, man habe sie aufgegeben. "Sie halten Ausschau nach internationaler Hilfe, die nicht eingetroffen ist." Es sei seine Pflicht, diese Fehler so schnell wie möglich korrigieren zu lassen, erklärte Griffiths.
Berichte über mutmaßliche Misshandlungen
Auch in der Türkei ist die Wut groß. "Es kursieren viele schockierende Bilder von Polizisten und Zivilisten, die solche Personen verprügeln und brutal behandeln, die nach dem Beben Gebäude geplündert haben sollen", schrieb die Türkei-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Emma Sinclair-Webb, auf Twitter. Innen- und Justizministerium hätten die Pflicht, sowohl mutmaßliche Diebe festzunehmen, als auch solche, die Menschen verprügelten.
Die Anwaltskammer von Diyarbakir schrieb auf Twitter, Berichte über solche Misshandlungen nähmen besorgniserregende Ausmaße an. Rechtliche Schritte müssten eingeleitet werden.
Rettungen nach mehr als 150 Stunden
Trotz der fortgeschrittenen Zeit gibt es immer noch Meldungen über gelungene Rettungen. Im türkischen Adiyaman wurden zwei Schwestern gerettet, die 153 Stunden in Kälte und Schutt überlebt hatten, wie der Fernsehsender Habertürk berichtete. Der Sender zeigte zudem, wie in der Stadt ein Sechsjähriger aus den Überresten des Hauses seiner Familie geholt wurde. Umstehende Frauen weinten vor Freude und Erleichterung.
Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca verbreitete ein Video über die Rettung eines kleinen Mädchens. "Gute Nachricht in der 150. Stunde" twitterte er. "Es gibt immer Hoffnung."
Deutsche Hilfsteams beenden Einsatz
Unterdessen beendeten mehrere deutsche Hilfsorganisationen ihren Rettungseinsatz in der Türkei. Das gemeinsame Team von I.S.A.R. Germany und der Rettungshunde-Organisation BRH wollen heute nach Deutschland zurückkehren, wie die beiden NGOs mitteilten. Die Einsatzkräfte der Hilfsorganisation @fire kehrten bereits am Sonntag nach Deutschland zurück.
Laut der Nachrichtenagentur AFP bereitet auch das Technische Hilfswerk (THW) die Rückkehr seines 50-köpfigen Teams nach Deutschland vor. Die Rückkehr sei ebenfalls für heute geplant. Weitere Einsätze des THW in der Türkei seien jedoch nicht ausgeschlossen.