Fukushima Angst vor der verseuchten Erde
Zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima sind zwar einige Gebiete rund um das havarierte AKW wieder freigegeben, doch der erhoffte Zuzug junger Familien blieb aus. Sie schreckt vor allem ein weithin sichtbares Problem ab.
In einem Supermarkt in dem kleinen Ort Okuma, rund sieben Kilometer südwestlich vom Atomkraftwerk Fukushima Daichii stehen in auffällig vielen Regalen Alkohol und Cup Nudeln - einmal heißes Wasser drauf, fertig. Ein untrügliches Zeichen dafür, wer vor allem in Okuma lebt: männliche Singles.
Vor der Katastrophe wohnten mehr als 11.000 Menschen in Okuma, heute sind es nicht einmal 1000. Den Begriff "Geisterstadt" will Bürgermeister Jun Yoshida zwar nicht hören, sagt aber, der Ort und die Nachbarstadt bräuchten mehr junge Leute und Familien. Zwar seien in Okuma 120 Familienhäuser gebaut worden - "hauptsächlich wohnen darin jedoch ältere Menschen und alleinstehende Männer".
Die meisten davon sind Arbeiter des Kernkraftbetreibers Tepco. Familien hätten wegen der kontaminierten Erde Bedenken, zurückzukehren, sagt Yoshida.
Vorübergehend vergraben
Die verseuchte Erde lagert in einem 16 Quadratkilometer großen Zwischenlager. Wer es besuchen will, muss sich aufwändig anmelden und trifft dann auf den eher unmotivierten Leiter Hironobu Mita. Er führt zu einer Aussichtsplattform mit Blick auf eine planierte Fläche. Dort wird die Erde in Säcken angeliefert: "Wir laden sie aus, der Inhalt wird erst gröber und dann feiner durchsiebt und in brennbares und nicht-brennbares Material getrennt."
Die mit Cäsium kontaminierte Erde wird dann vergraben und mit mehreren Planen abgedichtet, dabei wird das Cäsium aufgefangen. Zum Schluss werden 30 Zentimeter Erde aufgeschüttet und dann, so hofft der Leiter des Zwischenlagers, werden dort irgendwann Blumen blühen.
Spätestens bis 2045 soll diese Erde jedoch wieder ausgehoben und in ein Endlager außerhalb Fukushimas gebracht werden, so steht es im Gesetz. Und Bürgermeister Yoshida rechnet auch fest damit, dass es dabei bleibt. Der Staat müsse tun, was er versprochen habe - "nämlich ein nationales Verständnis dafür zu erzeugen, dass es nicht ein Problem Fukushimas ist, den verstrahlten Müll irgendwo zu lagern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Japans."
Die Bleibenden sind unzufrieden
In der Sperrzone, wo heute noch gelb-rotes Flatterband hängt und sich Plastiksäcke stapeln, hatte Chieko Watanabe ihr Zuhause. Sie läuft durch hohes Gras zu ihrem alten Haus und ärgert sich über Hinterlassenschaften von Wildschweinen. Ihr Haus hat die drahtige Rentnerin, wie fast alle, an den japanischen Staat verkauft, aber die Möbel gehören noch ihr. Dreimal sei seit der Katastrophe hier eingebrochen worden, berichtet sie.
Watanabe lebt jetzt in einer Nachbarstadt in einem neuen Haus. Die Trauer über den Verlust der Heimat ist überwunden, die Enttäuschung geblieben. Auch bei ihren Freunden Hideto und Hiromi Tachibana, die später zum Gespräch dazukommen. Bis heute habe sich die Regierung nicht bei ihnen entschuldigt, beklagt sich Hideto. Sie setzte eben auf Atomkraft - er habe kein Vertrauen mehr in sie.
Die Politik habe auch viel zu wenig getan, um das Image der Region aufzubessern, kritisiert seine Frau Hiromi. Mit der Folge, dass Konsumenten lieber zu Gemüse aus China als zum günstigeren Gemüse aus ihrer Region griffen.
Hiromi gibt nicht auf. Immer wieder versucht sie, für Produkte aus Fukushima zu werben, verschenkt Reis und Obst an Nachbarn. Doch die Vorbehalte sind groß.