Zustimmung von Israel und Hamas Feuerpausen für Polio-Impfungen im Gazastreifen
640.000 Kinder - binnen neun Stunden an dreimal drei Tagen: Feuerpausen sollen die dringend nötigen Polio-Impfungen im Gazastreifen ermöglichen. Die Weltgesundheitsorganisation setzt darauf, dass alle Parteien Wort halten.
Israel hat nach Angaben der Vereinten Nationen täglichen Feuerpausen ab Sonntag zugestimmt - sie sollen Raum für die Polio-Impfung Hunderttausender Kinder im Gazastreifen schaffen. In drei Teilen des Küstenstreifens sollen die Kämpfe von morgens bis nachmittags eingestellt werden, nacheinander an jeweils drei Tagen. Auch die militant-islamistische Hamas stimmte den Angaben nach zu. Hamas-Vertreter Basem Naim sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir sind bereit, mit internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um diese Kampagne zu sichern."
Der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO in Gaza, Rik Peeperkorn, berief sich dabei auf eine Zusage der für Palästinenserangelegenheiten zuständigen israelischen Behörde COGAT (Coordinator of Government Activities in the Territories). "Es wurde vereinbart, dass die Kampagne schrittweise über drei Tage hinweg durchgeführt wird. Wir beginnen am 1. September und beginnen drei Tage lang im zentralen Gazastreifen, gefolgt vom südlichen Gazastreifen und anschließend im nördlichen Gazastreifen", sagte Peeperkorn.
Es sei möglich, dass pro Region noch ein vierter Tag benötigt werde. Für einen solchen Bedarfsfall gebe es eine Zusage, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters - ebenfalls unter Bezug auf Peeperkorn. Die täglichen humanitären Feuerpausen sollen morgens um 6 Uhr beginnen und am Nachmittag um 15 Uhr enden.
Impfquote von 90 Prozent als Ziel
"Wir erwarten, dass sich alle Parteien daran halten. Andernfalls ist es tatsächlich unmöglich, eine richtige Kampagne zu machen, denn man wird definitiv keine 90 Prozent erreichen", so Peeperkorn weiter. Nach Einschätzung der WHO wird diese Abdeckung für den neuen oralen Polioimpfstoffs Typ 2 benötigt, um einen Ausbruch von Kinderlähmung in dem Gebiet zu verhindern.
Nach der Entdeckung von Polio-Viren im Abwasser hatten die Vereinten Nationen entschieden, etwa 640.000 Kinder im Alter von unter als zehn Jahren im Gazastreifen in zwei Runden gegen das Virus zu impfen. Dafür wurden bereits Impfstoffe für 1,26 Millionen Menschen über den Grenzübergang Kerem Schalom in den Küstenstreifen transportiert. UN-Vertreter hatten zuletzt eindringlich Feuerpausen gefordert, um die Impfungen zu ermöglichen.
"Der Gazastreifen war in den vergangenen 25 Jahren poliofrei"
Auch die EU hatte den Druck auf Israel erhöht: "Der Gazastreifen war in den vergangenen 25 Jahren poliofrei. Es ist alarmierend, dass das Polio-Virus entdeckt wurde", hieß es in einer Stellungnahme am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, die Bundesregierung arbeite mit Hochdruck mit Partnern vor Ort für eine humanitäre Feuerpause.
Die WHO und Partnerorganisationen setzen in dem teilweise komplett zerstörten Gazastreifen laut Peeperkorn auf eine Mischung aus Impfzentren und mobilen Teams. Im gesamten Gebiet gebe es 392 Zentren, zu denen Familien gehen könnten. Knapp 300 mobile Teams würden zusätzlich im Einsatz sein, um den Stoff zu den oft notleidenden Menschen zu bringen. Insgesamt seien mehr als 2.100 medizinische Mitarbeitende dafür im Einsatz.
Zweite Impfrunde nötig
Eine zweite Impfrunde werde normalerweise vier Wochen nach der ersten durchgeführt, hieß es. Seit Beginn des Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten viele Babys im Gazastreifen nicht geimpft werden. Die hygienischen Zustände in dem Küstenstreifen, wo häufig Binnenflüchtlinge auf engstem Raum ausharren müssen und sauberes Wasser knapp ist, könnten zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit beitragen.
Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen rief unterdessen die EU-Staaten auf, sich auch stärker an medizinischer Hilfe für bereits erkrankte oder verletzte Zivilisten im Gazastreifen zu beteiligen. "Es gibt eine Liste von über 12.000 palästinensischen Zivilisten in Gaza, die medizinisch evakuiert werden müssen, weil ihr Zustand so schlecht ist", sagte Sigrid Kaag.