Israel und die Hisbollah Wie geht es im Norden Israels weiter?
Nach dem Großangriff der Hisbollah bleiben die Menschen im Norden Israels in Angst und Ungewissheit. Viele fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen - und wollen, dass die Armee härter vorgeht.
Die befürchtete große Eskalation zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah bleibt erstmal aus - so die Bewertungen. Dabei sprechen die Zahlen vordergründig eine andere Sprache. Rund 340 Raketen hatte die Hisbollah gestern nach eigenen Angaben auf Israel abgefeuert und außerdem Drohnen losgeschickt. Israels Armee sagt, man habe 270 Ziele angegriffen und Tausende Raketenwerfer zerstört.
Doch die Signale der Hisbollah gelten als recht eindeutig: Zwar droht weiter Beschuss – aber offenbar kein größerer Angriff.
Raketenbeschuss seit mehr als zehn Monaten
Die Menschen im Norden Israels beruhigt das nicht wirklich, im Gegenteil: Hier fragt man sich, warum Israels Militär nicht viel entschlossener vorgeht.
Doron Shnaper spricht im Fernsehsender Channel 11 für die Verwaltung der Stadt Kiryat Shmona an der Grenze, die zu einer Geisterstadt geworden ist. "Seit zehn Monaten schlagen bei uns Raketen ein, verbrennen Häuser, gibt es Verletzte und Tote. Warum habt ihr euch nicht schon viel früher in den Bunker der Kommandozentrale begeben und diesen kriminellen Angriff auf Zivilisten, auf Kinder gestoppt? Wo wart ihr in diesen Momenten?"
Bewohner fühlen sich im Stich gelassen
Fast 70.000 Menschen im Norden Israels sind nach wie vor nicht zurück in ihren Häusern. Jetzt wo die Schule beginnt, sind vor allem viele Familien frustriert - weil die Regierung unter Benjamin Netanyahu zwar den gestrigen Angriff der Hisbollah abgewehrt hat, aber insgesamt nicht für Sicherheit sorge.
Giora Salz ist Chef des Parlaments der Region Galiläa: "Was sollen wir Bürger Galiläas darunter verstehen? Wir verstehen es so, als hätte die Regierung entschieden, die Grenze 40 Kilometer weiter südlich zu ziehen", sagt er im Channel 11. "Wir haben uns nicht losgesagt. Es war die israelische Regierung, die diese Trennung vorgenommen hat."
Auch in der nordisraelischen Stadt Akkon sorgte der jüngste Hisbollah-Angriff für Zerstörung.
Sicherheitsexperte zweifelt an den Kriegszielen
Seit zehneinhalb Monaten erhielte man keine Hilfe, beklagt Salz. "Und es gibt auch keinen Ansprechpartner in der Regierung. Also sagen wir jetzt, dass keiner anrufen oder uns einen Besuch abstatten soll."
Strategisch ist die Frage der Sicherheit im Norden für Israel heikel. Auch weil die Lage im von Israel besetzten Westjordanland angespannt ist und viele Truppen noch immer durch den im Krieg im Gazastreifen gebunden sind.
Amos Yadlin, früher Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, fordert im Channel 11 andere Prioritäten.: "Wir haben die Klagen der Bürger des Nordens gehört. Versteht die Regierung Israel nicht, dass die Kriegsziele, die im Oktober festgelegt wurden, nicht mehr stehen? Ist es immer noch richtig, sich auf den Gazastreifen zu konzentrieren? Oder ist es vielmehr so, dass die Hauptfront jetzt der Norden ist und dass die Hisbollah viel gefährlicher ist als die Hamas?", fragt der Sicherheitsexperte.
Er selbst meint: "Die Regierung muss über diese Fragen beraten um der Armee, immer dann, wenn die Hisbollah Richtung Galiläa schießt, weitere Befehle für Operationen dieser Art zu geben." Es gebe viele Dinge, "die wichtiger sind, als der Philadelphi-Korridor".
Verhandlungen um eine Waffenruhe stecken fest
Damit meint er das Grenzgebiet zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Israel will den Philadelphi-Korridor weiter kontrollieren. Die Frage gilt als eines der großen Hindernisse bei den Verhandlungen um eine Waffenruhe in Gaza und eine Freilassung der Geiseln. Immerhin war bei dieser Runde in Kairo die Hamas anwesend - aber es gibt Ablehnung, zum Beispiel von Osama Hamdan, einem hochrangigen Hamas Vertreter.
"Die Vermittler haben uns kontaktiert und gesagt, dass es eine neue israelische Position gibt. Dann haben die Israelis neue Bedingungen gestellt, anstatt zu akzeptieren, was die Vermittler angeboten haben: Die Rückkehr der Menschen in den Norden von Gaza zu überwachen, im Philadelphi-Korridor zu bleiben, die Grenze in Rafah zu kontrollieren und die Hilfslieferungen zu beschränken", sagt Hamdan bei Al Aqsa-TV. "Wir können das nicht akzeptieren."
Der Druck, zu einer Einigung für den Gazastreifen zu kommen, ist nach wie vor hoch. Denn eine solche Einigung könnte auch zwischen Israel und der Hisbollah für Entspannung sorgen.