Indien vor der Wahl Der "YouTube-Erzieher"
Millionen Follower, Milliarden Video-Abrufe: Die regierungskritischen Videos von Polit-Influencer Dhruv Rathee stoßen in Indien auf große Resonanz. Für Indiens Hindunationalisten sind sie wohl ein Alptraum.
Wenn Dhruv Rathee loslegt, dann bewegt das Millionen. "Namaskar Dosto", begrüßt er seine Follower, "Hallo Freunde" heißt das auf Hindi - und davon hat der 29-Jährige sehr viele. Alleine bei YouTube folgen dem Inder weit mehr als 20 Millionen Menschen, als "großartigsten und meistgeliebten YouTuber seiner Generation" stellte ihn jüngst ein renommierter Journalist vor.
Und wohl auch deshalb hat ein bestimmtes Video vor einigen Wochen so eingeschlagen. "Wird Indien zur Diktatur?", fragte der YouTuber darin provokativ. "Ganz offenbar nein", sei wahrscheinlich zunächst die Antwort seiner Follower, sagt er selbst. Denn augenscheinlich sei im Land doch alles in Ordnung: "Wir können jede politische Partei wählen, die wir wollen. Der Politiker, der die meisten Stimmen erhält, kommt an die Macht. Also gibt es in unserem Land noch Demokratie."
Doch so einfach sei es nicht - und um das zu erläutern, listet Dhruv Rathee eine halbe Stunde lang detailliert auf, was dafür spreche, dass Indiens Demokratie in Gefahr sei: wie die Medien kontrolliert und Ermittlungsbehörden gegen die Opposition eingesetzt würden - und wie es insgesamt darum gehe, Kritiker von Premierminister Narendra Modi und seiner hindunationalistischen Partei BJP zum Schweigen zu bringen.
Der Einfluss der Regierung auf die Medien
Ihm sei vor allem wichtig, sachlich korrekt zu sein, sagte er im ARD-Interview. Und deshalb zitiere er seriöse Quellen für alles, was in seinen Videos präsentiert werde. Dahinter stehe die gründliche investigative Arbeit von vielen oft unbekannten Journalistinnen und Journalisten, die, so Rathees Eindruck, an anderer Stelle nicht ausreichend gewürdigt werde.
Die wichtigsten Zeitungen seien weitgehend abhängig von Anzeigen der Regierung, und auch im Fernsehen sei wenig Kritik zu vernehmen, so der Politikwissenschaftler Vikram Visana von der Universität Leicester. "Das Medienumfeld in Indien besteht mittlerweile vollständig aus Pro-Modi-, Pro-BJP-Nachrichtenkanälen. Und die gehören im Wesentlichen den großen Konzernen, also Unternehmen, die von Premierminister Modi profitiert haben."
Arbeit aus sicherer Entfernung
Und deshalb ist es vor allem YouTube, wo auch unabhängige Journalisten noch ein Massenpublikum finden. In Indien nutzt fast eine halbe Milliarde Menschen die Videoplattform. Wer sieben- oder gar achtstellige Followerzahlen hat, kann sich gut über Werbung finanzieren, die zwischen den Videos läuft.
Ein Journalist aber sei er gar nicht, sagt Dhruv Rathee, vielmehr eine Art "YouTube-Erzieher". Es gehe ihm und seinem Team darum, komplexe Themen in einfacher Sprache zu formulieren: zu Politik, Wissenschaft, Geschichte, auch zu Sozialem oder aktuellen Nachrichten.
Rathee tut das allerdings nicht von Indien aus. Der 29-Jährige hat in Karlsruhe seinen Master gemacht, er ist mit einer Deutschen verheiratet - und spricht auch Deutsch. Und deshalb arbeitet er inzwischen auch von Europa aus - aus sicherer Entfernung sozusagen.
Sorge um die Demokratie
Die Regierung selbst habe zwar öffentlich noch nie etwas zu seinen Videos gesagt. Doch gerade von regierungsnahen Medien werde er massiv angefeindet. Rathee schade dem Ruf Indiens im Ausland, so der Vorwurf gerade nach dem "Diktatur"-Video. Zudem seien "von einer bestimmten Partei" sogenannte Trolle auf ihn angesetzt, die online Kampagnen gegen ihn führten. Es gehe darum, seinen Ruf zu zerstören.
Tatsächlich dürften seine Videos Indiens Hindunationalisten kaum gefallen, gerade weil sie so viele Menschen im Land erreichen. Rein rechnerisch hat jeder der 500 Millionen indischen YouTube-Nutzer vier seiner Filme gesehen. Und er wäre nicht der Erste, dessen YouTube-Videos auf Betreiben der indischen Regierung gesperrt werden.
Gerade weil er in seinem millionenfach gesehen Video einen düsteren Ausblick wagt. Wenn sich die Situation in Indien nach den Wahlen noch weiter verschlechtere, so Rathee am Ende seines halbstündigen "Diktatur"-Videos, dann werde es nicht lange dauern, bis das Land wie Russland oder Nordkorea sei. Es würden zwar weiterhin Wahlen abgehalten. "Aber in Wirklichkeit wird die Demokratie ihren letzten Atemzug getan haben", so Rathee.
Ob er eines Tages wegen solcher Aussagen vielleicht gar nicht mehr nach Indien zurückkehren könne? Rathee gibt sich da gelassen. "Ich hoffe, dass es nie dazu kommt", sagt er lachend. "Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass die Menschen in Indien ihre Wahl weise treffen werden, bevor es zu spät ist."