Vergiftungswelle an Mädchenschulen Protest im Iran entflammt erneut
Mehr als 1200 Schülerinnen mussten im Iran bisher wegen Vergiftungen behandelt werden. Viele Menschen glauben, dass das Regime hinter den Taten steckt. Klar ist: Der Protest gegen die Machthaber bekommt neue Kraft.
Auch wenn es zeitweise ruhiger geworden war um die Proteste im Iran - es gibt sie noch, wie gestern am Rande des Freitagsgebets in der Stadt Zahedan in der als rebellisch bekannten Provinz Sistan und Belutschistan. "Tod dem Diktator", ruft eine Gruppe von Demonstranten. Gemeint ist der religiöse Führer Ali Chamenei.
Speziell wegen der Angriffe auf Schulmädchen in verschiedenen Städten des ganzen Landes haben Eltern für heute in der Stadt Kermanschah zu Protesten aufgerufen. Vor der Bildungsbehörde der Provinzhauptstadt wollen sie die Regierung auffordern, dem unheimlichen Treiben ein Ende zu setzen. Nach Angaben eines iranischen Parlamentsabgeordneten mussten bisher fast 1200 Schülerinnen unter anderem wegen Atemnot, Übelkeit und Herzrasen ärztlich behandelt werden. So wie diese etwa 15-jährige Schülerin auf einem Krankenbett sitzend berichtet.
Wir haben Gas gerochen, dann ist eine meiner Klassenkameradinnen zusammengebrochen.
Viele Iraner machen Regime für Übergriffe verantwortlich
Mit welcher Substanz die Schülerinnen in ihren Klassenräumen vergiftet wurden, steht noch nicht genau fest. Schülerinnen hatten gesagt, sie hätten Dämpfe eingeatmet, die nach Mandarinen, Chlor und Reinigungsmitteln gerochen hätten. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, tippen iranische Ärzte inzwischen auf Giftgase als Ursache. Obwohl die Angriffe bereits seit drei Monaten andauern, ist immer noch unklar, wer dafür verantwortlich ist.
Inzwischen verspricht Innenminister Ahmad Wahidi Aufklärung: "Es ist eindeutig, dass unsere Feinde durch solche Aktionen unser Land destabilisieren wollen. Wieder spielen sie mit den Emotionen unserer Menschen und erzeugen Furcht."
Wer diese Feinde sein sollen, die Hunderte Mädchen vergiften, sagte der Innenminister nicht. Für viele Iraner im In- und Ausland ist bereits klar: Es ist das Regime selbst, das hinter den Angriffen steckt. Warum sonst sei noch nicht intensiv nach den Tätern gesucht worden? Das Motiv sei eindeutig, meint diese Frau in einer Einkaufsstraße von Teheran:
Ich denke, die Regierung ist schuld. Sie wollen nicht, dass die Mädchen zur Schule gehen, weil die Mädchen gegen die Regierung demonstrieren und keinen Hijab tragen wollen.
Eine andere Passantin sagt: "Ich bin überzeugt, es ist eine geplante Aktion."
Experte: Auch extremistische Gruppen als Täter denkbar
Geht es den Tätern darum, dass Mädchen generell nicht zur Schule gehen? Oder sind diese Angriffe eine Rache des Regimes dafür, dass sich Schülerinnen an den Protesten der vergangenen sechs Monate beteiligt haben? Ali Fathollah-Nejad, Politikwissenschaftler und Iran-Experte, sieht das Regime nicht unbedingt als direkten Akteur, sondern verweist auf extremistische Gruppen.
"Wir haben auch in der Vergangenheit, beispielsweise 2014 in Städten wie Isfahan auch Angriffe seitens extremistischer Gruppen gehabt. Damals Säureangriffe auf das Gesicht von Frauen. Und vonseiten des Staates gab es da keinerlei Willen zur Aufklärung."
Internationale Anteilnahme
Inzwischen hat sich auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock besorgt über die Angriffe auf die Schülerinnen geäußert. Mädchen müssten ohne Angst zur Schule gehen können, twitterte die Grünen-Politikerin.
Auch das US-Präsidialamt äußerte sich zutiefst beunruhigt. Die Welt müsse die Ursachen dafür wissen, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.
Dabei könnte die internationale Gemeinschaft durchaus robuster auftreten, meint Iran-Experte Fathollah-Nejad: "Da könnte noch viel, viel mehr Druck generiert werden gegenüber dem Regime der Islamischen Republik. Viel mehr Sanktionen gegen die Machtelite, aber auch eine internationale Isolierung wären hier wichtige Signale auch an die Protestbewegung."
Sollten die Giftanschläge wirklich eine Reaktion darauf sein, dass Mädchen gegen das Regime protestiert haben, dann haben sie erreicht, dass jetzt auch noch deren Geschwister und Eltern auf die Straße gehen. So wie heute in Kermanschah.