Nach Tod einer jungen Frau Tausende demonstrieren im Iran
Nach dem Tod einer 22-jährigen Frau im Polizeigewahrsam haben in der iranischen Hauptstadt Teheran Tausende Menschen protestiert. Die Polizei ging teils gewaltsam gegen Demonstrierende vor. Die USA fordern Aufklärung.
Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Polizeigewahrsam haben in der iranischen Hauptstadt Teheran Tausende Menschen protestiert. Alleine auf dem zentralen Boulevard Keschawars kamen am Abend Hunderte Demonstrierende zusammen, wie die iranische Nachrichtenagentur Fars berichtete.
Die Polizei ging teils mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Menschenmengen vor. Demonstranten sollen Mülltonnen in Brand gesetzt und Steine geworfen haben. Der Großteil der Proteste war jedoch friedlich.
Polizei mit massiven Aufgebot auf der Straße
Nach Angaben von Augenzeugen waren Polizei und Sicherheitskräfte in der Stadt mit einem massiven Aufgebot auf den Straßen unterwegs. Im Volkspark Mellat etwa kam es den Augenzeugen zufolge zu Menschenansammlungen, bei denen einige auch regimekritische Slogans riefen. Mehrere Frauen nahmen demnach aus Solidarität mit Amini ihre Kopftücher ab.
Zusammenstöße und Berichte über Schüsse
Auch in weiteren Städten und in Aminis Heimatprovinz Kurdistan gingen etliche Menschen auf die Straße. Dabei kam es Medienberichten zufolge auch zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.
In der Stadt Diwandareh sollen nicht unabhängig bestätigten Berichten zufolge auch Schüsse gefallen sein. Von offizieller Seite gab es zunächst keine Bestätigung. An mehreren Orten riefen die Teilnehmer der Proteste: "Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen" - eine Parole, die vor allem während der Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 bekannt geworden war.
Festnahmen durch die Polizei
Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Fars meldete, in Sanandaj, der Hauptstadt der Kurdenregion, hätten sich am Sonntag etwa 500 Demonstrierende versammelt. "Sie haben Slogans gegen die Verantwortlichen des Landes gerufen", berichtete Fars. Autoscheiben seien zerschlagen und Mülltonnen angezündet worden. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt, um die Menge auseinanderzutreiben. Es habe mehrere Festnahmen gegeben. "Zahlreiche Demonstranten sind überzeugt, dass Mahsa infolge von Folter gestorben ist", schrieb Fars.
Große Anteilnahme und Bestürzung
Der Fall hat auch international große Anteilnahme und Bestürzung ausgelöst. Die USA forderten Rechenschaft über den Tod von Amini, sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses. "Mahsa Aminis Tod nach den Verletzungen, die sie in Polizeigewahrsam erlitten hat, weil sie einen 'unpassenden' Hidschab trug, ist ein entsetzlicher und ungeheuerlicher Affront gegen die Menschenrechte", sagte der Sprecher.
Auch im In- und Ausland lebende Filmschaffende, Künstler, Sportler sowie Politiker und religiöse Vertreter äußerten ihre Empörung über den Todesfall. Im Internet trauerten viele Iraner um die junge Frau, die am Dienstag während eines Familienbesuchs in Teheran von der Sitten- und Religionspolizei wegen ihres "unislamischen" Outfits festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht worden war. Nach Polizeiangaben war sie dort wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und danach ins Koma gefallen. Am Freitag wurde ihr Tod bestätigt.
Im Netz kursierte jedoch auch eine andere Version. Amini sei verhaftet worden, weil ihr Kopftuch nicht richtig gesessen hätten und ein paar Haarsträhnen zu sehen gewesen wären. Nach der Verhaftung sei ihr Kopf im Polizeiauto gegen die Scheibe geschlagen worden, was zu einer Hirnblutung geführt habe. Die Polizei wies diese Darstellung vehement zurück.
Die Klinik, in der die 22-Jährige behandelt worden war, hatte nach ihrem Tod in einem inzwischen gelöschten Post bei Instagram geschrieben, dass Amini bereits bei der Aufnahme am Dienstag hirntot gewesen sei.
Polizei weist jede Schuld von sich
Die Polizei wies erneut jegliche Schuld am Tod der jungen Frau zurück. Die Unterstellungen seien "grundlos", sagte der Polizeichef der Hauptstadt, Hussein Rahimi, nach Angaben der Nachrichtenagentur Mehr. Die Polizei sei stets bemüht, dass solche Fälle nicht vorkommen, sagte Rahimi. "Es ist gesetzlich nun mal unsere Aufgabe, Frauen an die Kleidervorschriften zu erinnern", so der Polizeichef. Der Frau hätten sie jedoch kein Haar gekrümmt, versicherte Rahimi.
Die Polizei und auch die Regierung von Präsident Ebrahim Raisi sind seit dem Tod Aminis und der landesweiten Kritik in Erklärungsnot. Die Polizei versuchte mit mehreren nicht verifizierbaren Videoaufnahmen ihre Unschuld zu beweisen. Die konservative Zeitung "Keyhan", die als Stimme der Hardliner gilt, und andere Politiker der Regierung stützten die Version. Sie werfen den Kritikern vor, Unruhe gegen die Islamische Republik stiften und Lügen verbreiten zu wollen. Gleichzeitig ordnete Raisi an, den Fall gründlich zu durchleuchten.
Amini war laut Vater "kerngesund"
Der Vater des Opfers, Amjad Amini, machte deutlich, dass er die Erklärungen der Polizei nicht akzeptiere. Er kritisierte auch, dass die Rettungskräfte seiner Tochter zu spät zu Hilfe gekommen seien. Er wies auch Angaben der Regierung zurück, dass seine Tochter schon Vorerkrankungen gehabt habe. Seine Tochter sei "kerngesund" gewesen, sagte er.
Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen und reicheren Vierteln sehen viele Frauen die Regeln inzwischen eher locker - zum Ärger erzkonservativer Politiker. Die Regierung unter Präsident Raisi und Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger umzusetzen. Die Sittenpolizei setzt die Kleidungsvorschriften teils auch mit Gewalt durch.