Iran und Saudi-Arabien Der neue Nahe Osten?
Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran kam für viele überraschend. Für die Region könnte sie ein Umbruch bedeuten, Machtverhältnisse verschieben und - so die Hoffnung vieler - Konflikte entspannen.
Wenn es um die Zukunft geht, hat Politikwissenschaftler Mostafa Kamal von der Cairo University auf einmal ein wenig Euphorie in der Stimme. "Der Titel meines nächsten Artikels wird lauten: 'Der neue Nahe Osten'. Diese Einigung zwischen Saudi-Arabien und Iran ist der Beginn eines neuen Nahen Ostens - anders als alles, was wir bisher kannten", so Kamal.
Neuer Realismus bei den Machthabern
Die Meldung, dass die jahrelangen Erzfeinde der Region, Iran und Saudi-Arabien, wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen wollen, war in Beobachterkreisen offenbar ein Donnerschlag.
Kamal meint, eine neue Form des Realismus auf beiden Seiten habe den Deal ermöglicht. "Die Saudis sehen, dass sie ohne eine Einigung zum Beispiel im Jemen-Krieg nicht weiterkommen", sagt er. "Und der Iran ist innenpolitisch und wirtschaftlich geschwächt und braucht deshalb außenpolitische Erfolge. Das hat den Deal ermöglicht - Realismus bei den Machthabern."
USA besorgt um Macht in der Region
Zahlreiche Konflikte im Nahen und Mittleren Osten basieren seit Jahren auf den Rivalitäten der beiden Hegemonialmächte Saudi-Arabien und Iran. Dass sich die großen Kontrahenten der Region wirklich zu einem ersten Abkommen durchringen, damit hatte offenbar kaum jemand gerechnet - weder im Nahen Osten, noch in den USA.
"In Washington ist man überrascht und besorgt, wie es um die Macht der USA in der Welt noch bestellt ist", so Ex-US-Diplomatin Hillary Mann Leverett im arabischen Nachrichtensender Al Dschasira. Denn: Die Vermittlerrolle übernahmen diesmal nicht, wie so oft in der Vergangenheit, die USA, sondern ausgerechnet China.
"Die Chinesen sind jetzt eine unentbehrliche Macht im Nahen Osten, nicht mehr die USA", sagt Mann Leverett. "Das ist Fakt nach diesem Deal. China hat das Geld, die Diplomatie, den größten Erfolg - damit ist China der neue große Player."
China als neuer Führer der Weltordnung
Das chinesische Interesse dahinter: wirtschaftliche Beziehungen sowohl zu den Saudis als auch zum Iran, ohne die Geschäftspartner zu brüskieren. Vor allem aber das Signal an die Weltgemeinschaft, wer der neue Führer der Weltordnung sein will: nicht mehr der Westen, sondern China - und auch sein enger Partner Russland.
Dass sich die Saudis, historisch eng verbündet mit den USA, China zuwandten, habe Gründe, so Politologe Ibrahim Fraihat vom Doha Institute: "Saudi-Arabien ist seit Jahren frustriert von der Biden-Regierung und sucht sich deshalb neue Allianzen Richtung Osten. Nach diesem Deal erwarten wir einen Rückgang der Spannungen in Syrien, im Libanon, Jemen und im Irak" - vier Länder, deren Schicksal eng mit den geopolitischen Machtspielen der beiden Regionalmächte verknüpft ist.
Der Krieg im Jemen
Im Jemen kämpfen die Truppen des ehemaligen Präsidenten Abdrabbo Mansour Hadi gegen die Huthi-Rebellen. Eine Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens unterstützt die Regierungstruppen, fliegt seit 2015 Luftangriffe. Die Huthis wiederum erhalten Hilfe aus dem Iran. Daher galt der Jemen-Konflikt auch als Stellvertreterkrieg der beiden großen Gegenspieler der Region: Saudi-Arabien gegen Iran.
Vor knapp einem Jahr trat eine mehrmonatige Waffenruhe in Kraft, die aber im Herbst nicht mehr verlängert wurde. Doch jetzt gebe etwas Hoffnung, sagt Politologe Kamal: "Was ich erwarte, ist, dass die Waffenruhe jetzt fortgesetzt wird. Bis zu einer wirklichen Einigung zwischen den Huthis und den anderen Kräften braucht es noch Zeit, aber eine Verlängerung der Waffenruhe wäre schonmal eine gute Sache."
Auch der UN-Sondergesandte für den Jemen, Hans Grundberg, zeigt sich seit einigen Wochen vorsichtig optimistisch. "Wir sehen aktuell, dass die internationalen und regionalen diplomatischen Bemühungen zunehmen, den Konflikt zu lösen. Wir erleben möglicherweise gerade einen Richtungswechsel in diesem achtjährigen Konflikt", so Grundberg.
Die Krise im Libanon
Im Libanon herrscht eine schwere Wirtschaftskrise, die Währung hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren. Die Hisbollah, direkt unterstützt vom Iran, bildet eine Art Staat im Staate und hat große Macht im Land. Andere Bewegungen im Land stehen dagegen Saudi-Arabien nahe.
Politisch ist die Lage festgefahren: Mehrere Versuche zur Wahl eines neuen Präsidenten scheiterten. Ob sich dieses Machtvakuum durch den saudi-iranischen Deal löst? Beobachter sind unterschiedlicher Ansicht. Professor Kamal ist optimistisch. "Die Hisbollah hat einen aussichtsreichen Kandidaten für das Präsidentenamt vorgeschlagen und der Deal könnte sein, dass dieser Kandidat durchkommt, wenn im Gegenzug der Premierminister von der sogenannten Opposition gestellt wird", sagt Kamal.
Heiko Wimmen von der International Crisis Group in Beirut dämpft dagegen die Erwartungen auf Milliardenhilfen aus Saudi-Arabien für die Wirtschaft - der Libanon brauche vor allem Reformen. "Saudi-Arabien hat in letzter Zeit zunehmend Abstand genommen von seiner sogenannten Scheckbuch-Diplomatie. Man ist in Riad offensichtlich nicht mehr dazu bereit, große Mengen Geld in Länder zu überweisen, die sich als Fässer ohne Boden erwiesen haben."
Ohne diese Reformen, die zwingend erforderlich seien, um die libanesische Wirtschaft wieder anzukurbeln, werde Libanon ein Fass ohne Boden bleiben. Niemand werde dann Geld in das Land investieren - weder der IWF, noch Saudi-Arabien, glaubt Wimmen.
Der Krieg in Syrien
Auch in Syrien haben seit Jahren Iran und Saudi-Arabien ihre Finger im blutigen Spiel: der Iran als direkter Partner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Saudi-Arabien lange als Unterstützer der Aufständischen. Beobachter sind wenig optimistisch, dass sich die Lage in Syrien grundlegend ändert - denn Machthaber Assad sitzt fest im Sattel.
Viele gehen davon aus, dass Assad sein Comeback auf der politischen Weltbühne schrittweise fortsetzt, gedeckt von Russland und dem Iran - und möglicherweise irgendwann auch wieder akzeptiert von Saudi-Arabien.
Die Instabilität im Irak
Der Irak steht unter direktem Einfluss des großen Nachbarn Iran. Auf der anderen Seite bemüht sich der neue irakische Premier Mohammed Schia al-Sudani um ein gutes Verhältnis auch zu Saudi-Arabien und zu den USA. Der Irak will eine Beziehung zu beiden Seiten. "Der irakische Premier war sehr aktiv, die Annäherung zwischen den Saudis und dem Iran zu unterstützen. Aber natürlich: Der Weg, der jetzt kommt, wird nicht einfach", meint Kamal.
Beobachter sind sich einig: Alle möglichen Konsequenzen aus dem Deal sind noch Zukunftsmusik - vielleicht war die Ankündigung in China auch nicht mehr als ein geschickter Coup zweier Regime, ohne Folgen für die Menschen der Region.
Jetzt hänge alles davon ab, ob das saudi-iranische Abkommen auch umgesetzt würde, so der Politologe Fraihat: "Der wahre Erfolg liegt nicht im Unterschreiben eines Abkommens, sondern in der Umsetzung. Es sind noch längst nicht alle Probleme verschwunden."
Der Iran werde seine bewaffneten Milizen in den verschiedenen Ländern nicht aufgeben, solange der Konflikt mit Israel besteht, meint Fraihat bei Al Dschasira. "Das bleibt eine Bedrohung für die Saudis."
Verlierer USA und Israel
Als große Verlierer des Abkommens gelten übrigens die USA - ausgebootet von China - und Israel. Israel hatte sehr auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien gehofft, träumte sogar von einer Militärallianz gegen den Iran. Das scheint nun vorerst vom Tisch zu sein - und Berichten zufolge ist der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu empört über die Schwäche der Diplomatie Joe Bidens im Nahen Osten.
Riad habe Tel Aviv das starke Signal gesendet, dass Saudi-Arabien eine mögliche militärische Offensive gegen den Iran nicht zwangsläufig unterstützen würde, heißt es von Analysten. Ein schwerer Schlag für Netanyahu, sagen Beobachter.
Auch wenn derzeit noch alles offen ist: Viele hoffen nach der möglichen saudi-iranischen Annäherung in Zukunft auf ein bisschen Ruhe für die krisengeschüttelten Länder des Nahen und Mittleren Ostens.