Japan vor G7-Gipfel Für und gegen Aufrüstung
Japans Premierminister Kishida will auf dem G7-Gipfel ab Freitag die langfristige Abschaffung von Atomwaffen vorantreiben. Zugleich forciert die Regierung die Aufrüstung des ostasiatischen Landes.
Auch wenn die Augenzeugen des US-Atombombenabwurfs vom August 1945 auf Hiroshima immer weniger werden, so ist die Stadt bis heute ein Symbol für Frieden und Hoffnung. Die Familie des japanischen Premiers Fumio Kishida stammt von hier, Angehörige sollen der Bombe zum Opfer gefallen sein.
Die Erzählungen seiner Großmutter haben sich tief in sein Bewusstsein eingegraben. Die wiederholten indirekten Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, im Krieg gegen die Ukraine atomare Waffen einzusetzen, seien ein echter Schock für ihn gewesen, sagte er gerade dem "Time Magazine", das ihn kürzlich auf den Titel setzte.
Gerade in dieser Situation halte er es für notwendig, "die internationale Dynamik für die Abschaffung von Atomwaffen zu erhöhen und alle Atomwaffenstaaten inklusive China und Russland in die nukleare Abrüstung einzubeziehen", hatte er bereits im März anlässlich der ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen mit Blick auf den anstehenden G7-Gipfel erklärt.
Ein Aktions- und ein Besuchsplan
Kishida hat dafür einen Aktionsplan entworfen. Der setzt darauf, Atomwaffen weiter zu reduzieren, die Vorräte transparent zu machen, Kernenergie nur friedlich zu nutzen und von Drohungen, diese Waffen einzusetzen, abzusehen.
Auch sollen führende Politiker der Welt das Friedensgedächtnismuseum in Hiroshima besuchen, in denen die katastrophalen Auswirkungen der ersten Atombombe detailliert beschrieben werden.
Zumindest das soll auf dem G7 Gipfel gelingen. Die anreisenden Politiker werden das Museum besuchen und am Mahnmal davor Blumen niederlegen sowie eine Schweigeminute einlegen.
Doch schon jetzt sorgt sich so mancher Japaner, dass der Besuch mehr Show sein könnte, so wie der des früheren US-Präsidenten Barack Obama 2016, der nur zehn Minuten im Museum gewesen sein soll.
Wenig mehr als ein kurzer Pflichttermin? Der damalige US-Präsident Obama verweilt 2016 am Mahnmal für die Opfer des Atomwaffenabwurfs in Hiroshima.
Lebenstraum versus Realität
Die langfristige Abschaffung von Atomwaffen sei für den konservativen Politiker ein persönlicher Lebenstraum, doch zugleich sei sich Kishida der schwierigen Lage bewusst, sagt Ken Jimbo, Sicherheitsexpete der Keio-Universität: "Mit dem Hiroshima-Aktionsplan will er einen Samen für die Zukunft säen."
Die Verantwortung liege jetzt auf den Schultern Chinas und der Nuklearmächte, so Jimbo: "Sie sollten vollumfänglich ihre nukleare Bewaffnung offenlegen und für Transparenz bei ihren Atomprogammen sorgen."
Ein Widerspruch bleibt
Dafür will der japanische Regierungschef zunächst die auf dem G7-Gipfel anwesenden Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich dazu bewegen, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten: "Der Vertrag kann als Ausgangspunkt für eine Welt ohne Atomwaffen bezeichnet werden. Dafür ist die Kooperation der Atomstaaten notwendig, doch bisher ist keiner von ihnen Vertragspartei", erklärte Kishida vor einigen Wochen.
Was Kishida galant umschifft: Auch seine Regierung hat den Atomwaffenverbotsvertrag, der es verbietet, Kernwaffen zu produzieren, zu testen, zu lagern, zu stationieren und mit ihnen zu drohen, nicht unterzeichnet. Denn Japan verlässt sich bei der Verteidigung bisher auf die USA.
Sorge vor China und Nordkorea
Japan sieht sich selbst zunehmend bedroht, einerseits durch den Nachbarn Nordkorea. Das Land setzt nicht nur unbeirrt seine Raketentests fort, sondern entwickelt sein Waffenprogramm stetig weiter. Zuletzt wurde Angaben Nordkoreas zufolge eine Feststoffrakete getestet. Die ist mobiler und daher schwerer von Gegnern abzufangen.
Viel größere Gefahr sieht Japan jedoch von China ausgehen, das wurde bereits auf dem G7-Gipfel der Außenminister im April deutlich. Dort hatte Außenminister Yoshimasa Hayashi betont: "Was heute die Ukraine ist, kann morgen Ostasien sein."
Die Volksrepublik provoziert durch wiederholte Manöver längst nicht mehr nur Taiwan, sondern auch Japan, weil Raketen in unmittelbarer Nähe vor japanischen Inseln oder in der exklusiven japanischen Wirtschaftszone ins Meer fallen. Durch Landaufschüttungen und Sicherheitsabkommen in der Region dehnt die Volksrepublik im Indopazifik ihren Einfluss aus. Hinzu kommen gemeinsame Militärübungen mit Russland.
Allianzen schmieden, aufrüsten
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, fordern die USA schon lange eine engere Zusammenarbeit Japans mit Südkorea. Diese scheint nun nach einer jahrelangen Eiszeit an Fahrt aufzunehmen.
Allerdings ist dies vor allem dem Bemühen des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol zu verdanken, der einen großen Schritt auf Japan zugegangen ist und dafür sogar heftige Kritik im eigenen Land erfahren musste. Bei einem Gipfeltreffen Anfang Mai, dem Gegenbesuch Fumio Kishidas in Seoul, vereinbarten beide Seiten ihre Radarsysteme über die USA miteinander zu vernetzen, um nordkoreanische Raketen schneller zu erkennen.
Gleichzeitige Aufrüstung
Neben weiteren Sicherheitsbündnissen mit den USA, Indien und Australien treibt Japan seine eigene Aufrüstung voran. Das Verteidigungsbudget soll bis 2027 verdoppelt werden. Ein neues Gesetz sieht zudem vor, dass der Staat im Notfall kleine und mittelständische marode Rüstungsfirmen übernimmt, um wichtige Produktionsanlagen zu erhalten und kritische Infrastruktur in den Bereichen zu schützen.
Heigo Sato von der Takushoku Universität, der auf Sicherheits- Verteidigungspolitik spezialisiert ist, bezweifelt, dass Japan mit diesem Modell erfolgreich sein wird, denn die japanische Rüstungsindustrie sei derzeit in vielen Bereichen ineffizient und nicht wettbewerbsfähig.
Doch mit der anvisierten Budgetsteigerung, so die denn gegenfinanziert werden kann, hätte Japan nach den USA und China weltweit die dritthöchsten Verteidigungsausgaben und könnte auf lange Sicht auch mehr Rüstungsgüter exportieren.
Mehr Munitionslieferungen?
Bislang verbietet die Verfassung so genannte Tötungswaffen in Kriegsgebiete zu entsenden, doch, so Sato: "Wenn wir zum Beispiel Munition in andere europäische Länder schicken würden, stehen dem weder Gesetze noch Regularien im Weg, selbst wenn diese Munition dann der Ukraine zur Verfügung gestellt wird."
Eine andere Frage sei allerdings, ob Japan dazu derzeit die Produktionskapazitäten habe.