Rebellen in Myanmar Vom Koch zum Kämpfer
In Myanmar kämpfen seit einem Militärputsch 2021 verschiedene Rebellengruppen gegen das Militär. Sie sind schlecht ausgerüstet und setzen dem Regime trotzdem immer stärker zu. Was treibt sie an? Unterwegs im Grenzgebiet von Thailand und Myanmar.
Bis zum Militärputsch war Kyaw Gyi ein hipper Friseur in einer Großstadt in Myanmar, das sieht man seinen gestylten Haaren heute noch an. Dann schloss sich der 35-Jährige dem Kampf gegen das Militärregime an
An einem geheimen Ort in Mae Sot in Thailand an der Grenze zu Myanmar sitzt er auf einer Krankenliege, ihm fehlt das rechte Auge. Er hat es im Kampf gegen das Militär verloren. "Wir haben unser Leben geopfert, also macht es uns nichts aus, auch unsere Körper zu opfern", sagt er.
Er sei verzweifelt und wütend gewesen, nachdem das Militär 2021 den friedlichen Widerstand der Zivilbevölkerung mit brutaler Härte niedergeschlagen hatte, berichtet Kyaw.
Myanmar hatte bis dahin zehn Jahre demokratischer Öffnung und wirtschaftlichen Aufschwungs erlebt. Mit dem Militärputsch war das auf einen Schlag vorbei. "Ich habe mich den Rebellen angeschlossen, nicht weil ich blutdürstig bin oder töten will. Das Militär unterdrückt und foltert die Bevölkerung. Das konnte ich nicht mit ansehen."
Militär geschwächt wie noch nie seit dem Putsch
Seit rund sechs Wochen liefern sich Rebellengruppen und das Militär im Norden des Landes besonders heftige Kämpfe. Mit ihren koordinierten Angriffen haben die Rebellen laut lokaler Medien in kurzer Zeit mehr als 300 Militärstützpunkte und rund 20 vom Regime kontrollierte Städte erobert.
Das Militär steht so geschwächt wie nie seit dem Putsch vor fast drei Jahren da. Den Rebellen macht das Mut. "Unser Ziel ist, diese Revolution zu gewinnen, und solange kämpfen wir. Wir haben die Bevölkerung auf unserer Seite, das ist der Hauptgrund, warum wir am Ende siegen werden", sagt der 23-jährige Ko Khant.
Vor dem Putsch war er Koch in einem Restaurant in Yangon mit europäischer Küche. Zwei Jahre Kampf haben ihre Spuren hinterlassen. Ko Khant hat seinen rechten Unterarm verloren, während er einen Sprengsatz präparierte.
"Es ist ein Albtraum"
Nay Chi Lin leitet die provisorische Klinik in Mae Sot, in der die jungen Männer gerade behandelt werden. Sie schiebt die Tür zum Reha-Zentrum auf. Einem Raum mit ein paar Fitness-Geräten. Für die Schwerverletzten gibt es draußen auf dem Hof eine provisorische Dusche auf einem Krankenbett unter freiem Himmel.
130 Männer und Frauen finden derzeit bei ihr Zuflucht und medizinische Versorgung. In einem Bett liegt ein Mann, zur Hälfte gelähmt. Er wurde am Kopf verletzt. Einem anderen wurde in die Lende geschossen. Er soll bald in einem lokalen Krankenhaus operiert werden. Schicksale, die auch Nay Chi Lin belasten:
Ehrlich gesagt weine ich jeden Tag. Aber nie vor ihnen, nie. Es ist ein Albtraum. Jeden Tag siehst du Blut, schlimme Verletzungen, sie leiden vor deinen Augen und manchmal bitten sie mich, sie umzubringen, weil sie es nicht mehr ertragen.
Die 37-jährige ist Mutter dreier Kinder. Seit dem Militärputsch 2021 dreht sich ihr Leben nur noch um die verletzten Kämpfer. Sie sammelt Spenden für Essen, Krankenhausbetten, Operationen. Das meiste Geld kommt von Burmesen, die im Ausland leben und arbeiten.
"Ich denke nicht viel über die Zukunft nach", sagt Nay Chi Lin. "Jeden Tag gibt es einen Notfall, müssen wir kämpfen. Wenn ich aufwache, denke ich, danke, Gott hat mir einen neuen Tag geschenkt. Und dann renne ich los, versuche alles zu schaffen." Sie lacht die Männer an.
Nach außen ist sie stark, die Schulter zum Anlehnen, die große Schwester. Viele hier haben ihre eigene Familie bei Angriffen des Militärs verloren. Andere haben ihre Familie nicht mehr gesehen, seit sie sich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen haben, um ihre Angehörigen zu schützen.
Sie bombadieren Dörfer, Schulen, Krankenhäuser
Die meisten Verletzten, die hier versorgt werden, kämpfen für die Karen, eine ethnische Minderheit im Südosten Myanmars. Im ganzen Land gibt es dutzende bewaffnete Gruppen. Ihr gemeinsamer Feind: die Militär-Junta.
"Wir werden das Militär gemeinsam besiegen", sagt Padoh Saw Taw Nee, Sprecher der Karen, in einem offiziellen Statement. "Wir wollen, dass sich das Regime aus der Politik raushält. Ihre Luftangriffe gegen die Zivilbevölkerung sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen."
Immer wieder bombardieren Militärjets Dörfer, Schulen, Krankenhäuser. Gegen die Angriffe aus der Luft sind die Rebellen machtlos.
Bevor sie sich dem Widerstand anschlossen, arbeiteten die Rebellen in ganz normalen Berufen. Irgendwann, so hoffen sie, können sie dorthin wieder zurückkehren.
"Revolution ist unsere Pflicht"
Der 24-jährige Raymi zeigt auf seinem Handy ein Video. Er hat es durch hohe Bäume hindurch gefilmt. Vier Kampfjets fliegen am Himmel. "Wir wechseln den Standort unseres Camps etwa alle drei Wochen, damit das Militär nicht weiß, wo wir sind."
Sie leben in einfachen Camps mit Zelten aus Regenplane, mitten im Dschungel. Wenn er die Militärjets hört, hat Raymi Todesangst. Doch bisher hatte er Glück.
Raymi gehört zu einer Gruppe der sogenannten Volksverteidigungskräfte. Als das Militär die Macht ergriff, war er frisch ausgebildeter Mathelehrer. Nach dem Putsch griff auch er zu den Waffen: "Als die Ungerechtigkeit zum Gesetz wurde, wurde die Revolution unsere Pflicht."
Unermüdlicher Kampfeswillen
Doch dem hochgerüsteten Militär sind viele Rebellengruppen technisch unterlegen. Sie bauen sich ihre Bomben und Gewehre teils selbst zusammen. Überlegen sind sie in ihrem unermüdlichen Kampfeswillen und ihrer tiefen Überzeugung, für das Richtige zu kämpfen.
Anders als die Soldaten des Militärs. Auch das sei ein Grund, so Analysten, warum das Militär derzeit so schwach dasteht wie seit dem Putsch vor knapp drei Jahren nicht. Das Narrativ des Militärs, unbesiegbar zu sein, sei in den vergangenen sechs Wochen erschüttert worden.
Immer wieder laufen Soldaten zu den Rebellen über. "Unser Ziel ist es, die teuflische Militärdiktatur in Myanmar zu beenden", bekräftigt Raymi. "Wenn wir weiter so gemeinsam wie im Moment kämpfen, dann können wir das Militär besiegen."
Wenn der Krieg vorbei ist, wollen er und die anderen zurück in ihr altes Leben, als Mathelehrer, Koch oder Friseur.