Tote Helfer im Gazastreifen Hilfsorganisationen fordern mehr Schutz
Nach dem Tod von Mitarbeitern der Organisation World Central Kitchen wächst die Sorge um die weitere Versorgung der Menschen im Gazastreifen. Die meisten Hilfswerke wollen bleiben - fordern aber konkrete Sicherheitsgarantien von Israel.
Nach dem Tod von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) im Gazastreifen hat das Auswärtige Amt davor gewarnt, dass sich die Versorgungslage der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtern könnte.
Es bestehe die Gefahr, "dass auch andere Hilfsorganisationen, die ganz dringend benötigt werden, ihr Engagement überdenken und einstellen", sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Die Bundesregierung habe Israel bereits mehrfach aufgefordert, mehr Hilfslieferungen auch auf dem Landweg zu ermöglichen.
WCK-Gründer spricht von "direkter Attacke"
Anfang der Woche waren bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen sechs WCK-Helfer und ihr palästinensischer Fahrer getötet worden. Israel übernahm die Verantwortung für die Aktion, sprach von einem Versehen und leitete nach eigenen Angaben eine umfassende Untersuchung ein.
Es habe sich nicht "einfach um irgendeinen bedauernswerten Fehler im Nebel des Krieges" gehandelt, schrieb der Gründer von World Central Kitchen, José Andrés. Es sei eine direkte Attacke auf klar gekennzeichnete Fahrzeuge gewesen, deren Bewegungen bekannt gewesen seien. Es sei zudem das direkte Resultat der Politik der Regierung, in einem beunruhigenden Ausmaß Engpässe bei humanitärer Hilfe herbeizuführen.
WCK stellt Arbeit im Gazastreifen ein
WCK hatte seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen im Oktober Hilfsgüter an die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen verteilt und war an der Organisation von Hilfslieferungen auf dem Seeweg beteiligt. Nach dem Angriff vom Montag kündigte die Organisation die Einstellung ihrer Arbeit im Gazastreifen an. Nach Angaben Zyperns kehrte ein Schiff mit 240 Tonnen für den Gazastreifen bestimmten Hilfsgütern daraufhin am Dienstag um.
Die Vereinten Nationen kündigten an, den nächtlichen Verkehr für mindestens 48 Stunden einzustellen. Wie UN-Sprecher Stephane Dujarric sagte, sollten Sicherheitsprobleme geprüft werden. Seit Kriegsbeginn sind nach UN-Angaben etwa 180 humanitäre Helfer im Gazastreifen ums Leben gekommen.
WHO will bleiben
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will ihren schwierigen Einsatz im Gazastreifen hingegen nicht aufgeben. "Wir sind hier, um zu bleiben und um unsere Arbeit zu machen", sagte Rik Peeperkorn, der WHO-Vertreter für die palästinensischen Gebiete.
Peeperkorn berichtete, dass bereits in den vergangenen Monaten auch UN-Fahrzeuge im Gazastreifen von Angriffen betroffen gewesen seien. Dies zeige, dass Vereinbarungen zum sicheren Geleit für humanitäre Helfer in diesem Konflikt "nicht funktionieren". Geplante Hilfsmissionen in den Norden des palästinensischen Küstenstreifens würden immer wieder von israelischer Seite abgelehnt, verzögert oder behindert, klagte Peeperkorn.
Auch der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland machte auf frühere Angriffe aufmerksam. Es sei "nicht das erste Mal, dass wir Angriffe auf humanitäre Helfer sehen", sagte Christian Katzer der Nachrichtenagentur dpa.
UNICEF-Sprecherin fordert Waffenstillstand
Tess Ingram, Sprecherin des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), erklärte in den tagesthemen, es brauche Sicherheitsabsprachen für die Hilfsorganisationen, um vor allem den Norden mit Hilfe zu versorgen - und diese Absprachen müssten respektiert werden. "Es ist wichtig, dass wir die Situation im Ganzen einschätzen können."
Dass mehrere Organisationen jetzt den Gazastreifen verlassen könnten, mache ihr Sorgen. "Die Situation wird Tag für Tag aufgrund des Konfliktes schlimmer und es gibt viele Hilfsgüter, die beschränkt werden." Die internationale Gemeinschaft müsse sich für einen Waffenstillstand einsetzen, "sodass wir in einer sicheren Umgebung unsere Arbeit leisten können".
Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, forderte ebenfalls einen besseren Schutz für humanitäre Einsatzkräfte vor Ort. Es brauche dringend Sicherheitsgarantien, sagte Hasselfeldt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Anders sei die Unterstützung der Menschen in Gaza und der Schutz der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr zu gewährleisten.
Kritik auch von Verbündeten
Auch in der internationalen Politik sorgt der Angriff weiter für Kritik. US-Präsident Joe Biden warf Israel vor, nicht genug für den Schutz humanitärer Helfer zu tun, die dringend benötigte Hilfe für die Bewohner des Gazastreifens leisteten. Es handele sich nicht um einen Einzelfall, rügte Biden. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sagte, seine Regierung warte "auf eine viel detailliertere Klärung der Ursachen". Die Äußerung von Israels Premier Benjamin Netanyahus nach dem Vorfall sei "absolut inakzeptabel" und "unzureichend" gewesen.
Polen bestellte nach Angaben des Vize-Außenministers Andrzej Szejna den israelischen Botschafter ein. Zuvor hatte Polens Regierungschef Tusk erklärt, der "tragische Angriff" sowie die öffentliche Reaktion der israelischen Regierung stellten die Solidarität mit Israel "auf eine harte Probe".
Am Freitag soll sich der UN-Menschenrechtsrat mit einem Resolutionsentwurf befassen, der ein Waffenembargo für Israel fordert. Der von Pakistan im Namen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) eingebrachte Text wird auch von Bolivien, Kuba und der palästinensischen Autonomiebehörde unterstützt.