Ein Jahr ultrarechte Regierung Netanyahu kämpft an allen Fronten
Seit einem Jahr regiert Netanyahu wieder in Israel. Mit seiner Justizreform stürzte er das Land in eine Krise - und muss sich seit dem Hamas-Angriff fragen lassen, ob er die Sicherheit vernachlässigte.
Bevor Benjamin Netanyahu am 29. Dezember 2022, also vor einem Jahr, sein Amt antrat und wieder einmal Ministerpräsident wurde, hatte er eine Koalition geschmiedet, wie es sie in Israel noch nicht gegeben hatte: mit ultrareligiösen und nationalreligiösen Kräften, mit Rechtsextremen, die wichtige Ministerämter bekamen, mit den politischen Vertretern der radikalen Siedler im besetzten Westjordanland.
Viele Ziele bekannt gegeben
Die erste Sitzung der Knesset verlief unter lautstarkem Protest der Opposition. Aber Netanyahu versuchte, im In- und Ausland den Eindruck zu erwecken, er habe die Zügel in der Hand. Er gab sich als Staatsmann, auch als er bei der ersten Sitzung mit seinem Kabinett die Ziele seiner Regierung absteckte: Er kündigte an, den Iran abzuwehren, denn das sei für Israel eine existenzielle Frage.
Außerdem verkündete er, die Sicherheit und die Führung im Staat wiederherstellen und sich um die Lebenshaltungskosten und bezahlbaren Wohnraum kümmern zu wollen. Und schließlich wollte er den Kreis der mit Israel verbündeten Staaten, so wörtlich, "dramatisch" ausweiten.
Umbau der Justiz
Von diesen Zielen ist ein Jahr später nicht mehr viel übrig. Zuerst mal wurde innenpolitisch schon kurz nach dem Antritt klar, worum es dieser Regierung eigentlich ging: Justizminister Yariv Levin verkündete die Pläne zu einem Umbau der Justiz. Das Ziel: Die Kompetenzen des Obersten Gerichtshofes einzuschränken und mehr Einfluss auf die Auswahl der Richter zu bekommen. Das hatten nicht zuletzt Netanyahus religiöse Koalitionspartner gefordert, um mehr Gesetze in ihrem Sinne durchzubringen.
Schon früh gab es große Bedenken: Suzie Navot, eine bekannte Verfassungsrechtlerin in Israel, sagte dem ARD-Studio Tel Aviv, es gehe bei der Reform letztendlich um den Charakter des Landes. Denn es sei schwer, einen Kompromiss zu finden zwischen einem jüdischen und einem demokratischen Staat. Ein Land, das zu 100 Prozent jüdisch sei, werde nicht demokratisch sein. Und ein zu 100 Prozent demokratisches Land könne nicht jüdisch sein.
Monatelange Proteste
Für Hunderttausende Israelis, die monatelang, Woche für Woche im Protest gegen die Reform auf die Straße gingen, war der Fall klar: Sie waren in großer Sorge, dass Netanyahus Regierung den demokratischen Rechtsstaat schleifen und die Gewaltenteilung schwächen werde. Netanyahu schwieg dazu lange, gab ein paar Interviews im Ausland, die beruhigen sollten, und schaltete im Inland auf Angriff, in dem er den Demonstrierenden vorwarf, sie würden Israel in eine Anarchie verwandeln.
Und dann kam der 7. Oktober, der Angriff der Hamas und weiterer Terrorgruppen aus dem Gazastreifen auf Israel. Mit über 1.200 Toten und rund 240 Verschleppten.
Israels Sicherheit vernachlässigt?
Schnell gab es Fragen, wie das möglich sein konnte, und: Ob die Regierung Netanyahu in den letzten Monaten Israels Sicherheit vernachlässigt hatte. Seitdem sind noch einmal etwa 22.000 Menschen im Gazastreifen gestorben - und auch immer mehr israelische Soldaten. Es gibt, nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums, die beispielsweise von den Vereinten Nationen für plausibel gehalten werden, mehr als 53.000 Verletzte. Weite Teile des Gazastreifens sind inzwischen flächendeckend zerstört.
Und Netanyahu betont immer wieder, dass der Krieg bis zum vollständigen Sieg weitergehen werde, bis zur Zerschlagung der Hamas und bis zur Befreiung aller Geiseln. Das kann nach Aussagen des israelischen Militärs noch Monate dauern.
Gleichzeitig ist Israel im Norden von der Hisbollah aus dem Libanon bedroht und auch aus dem Jemen wurden bereits Raketen abgeschossen.
Zwei-Staaten-Lösung verhindert
Ob Netanyahu und seine Regierung den Gaza-Krieg politisch überleben, ist noch offen. Sicher ist nur: Danach ist von ihm eine Lösung im Nahost-Konflikt mit einem palästinensischen Staat nicht zu erwarten. Er sei stolz darauf, eine Zwei-Staaten-Lösung verhindert zu haben, sagte er vor ein paar Tagen.
Läuft es nach Netanyahus Plan, dann finden in Israel erst Ende 2026 wieder Wahlen statt. Und alle, die ihn kennen, wissen, dass er bis zum Schluss und mit allen Mitteln um sein Amt kämpfen wird. Koste es, was es wolle. Der Kampf hat bereits begonnen.