Urteile in Russland Memorial muss Menschenrechtszentrum schließen
Nur einen Tag, nachdem das Oberste Gericht Russlands die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial beschlossen hat, folgt schon der nächste Richterspruch: Das Menschenrechtszentrum der Organisation muss schließen.
Nach der Dachorganisation der Menschenrechtsorganisation Memorial hat ein russisches Gericht auch die Auflösung des gleichnamigen Moskauer Menschenrechtszentrums beschlossen.
Der Gerichtsbeschluss folgt einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft. Die hatte auch Mitte November beantragt, Memorial aufzulösen. Vor dem Gebäude des Zentrums gab es Protest gegen die Schließung.
Organisation will Urteile anfechten
Mit dem Urteil von Mittwoch sahen es die Richter als erwiesen an, dass Memorial gegen das in Russland geltende Gesetz für sogenannte ausländische Agenten verstoßen habe. Als solche müssen sich Organisationen ausweisen, die durch ausländische Quellen finanziert werden. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte die Menschenrechtler beschuldigt, nicht in allen Veröffentlichungen kenntlich gemacht zu haben, dass Memorial als "ausländischer Agent" eingestuft ist. Zudem warf sie der Organisation aufgrund ihres Engagement für politische Gefangene eine Nähe zu "Extremismus und Terrorismus" vor.
Memorial wies sämtliche Vorwürfe zurück und sprach sowohl nach dem Urteil für die Auflösung der eigenen Organisation als auch nach der angeordneten Schließung des Menschenrechtszentrums von "politischen Entscheidungen". Memorial will gegen beide Richtersprüche vorgehen und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Internationale Kritik an Russlands Vorgehen
Die Entscheidung Russlands, Memorial zur Auflösung zu zwingen, hatte international scharfe Kritik hervorgerufen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, das Urteil "widerspricht internationalen Verpflichtungen zum Schutz grundlegender Bürgerrechte, die auch Russland eingegangen ist". Es entziehe "Opfern von Unterdrückung und Repression die Stimme". Auch die EU und die USA verurteilten das Vorgehen Russlands.
Nun schloss sich das Internationale Auschwitz Komitee der Kritik an. Dessen Vizepräsident Christoph Heubner betonte aber:
Der Versuch russischer Behörden, die Zeit zurückzudrehen und die Idee und die Arbeit von Memorial zu zerstören wird nicht gelingen.
Memorial als "moralische Instanz"
Memorial sei über Russland hinaus zu einer moralischen Instanz geworden, die "die Verbrechen der stalinistischen Säuberungen aufgezeigt und vielen Opfern und ihren Angehörigen Hoffnung und Würde zurückgegeben hat", sagte Heubner weiter.
Gegründet wurde Memorial noch zu Sowjet-Zeiten, im Jahr 1989. Die Organisation setzt sich für die Aufarbeitung von politischer Verfolgung und Stalin-Terror in der Sowjetunion und die Rehabilitierung von Betroffenen ein. Zudem engagieren sich ihre Mitglieder für die Wahrung der Menschenrechte etwa auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim oder im Nordkaukasus.
Das Menschenrechtszentrum führt eine Liste mit mehr als 430 Personen, die wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen in Russland im Gefängnis oder einem Straflager sitzen. Zu ihnen zählen etwa Kremlkritiker Alexej Nawalny und Zeugen Jehovas.