Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Unerschütterlich konstant
In Taiwan richten sich alle Augen auf die Präsidentin Tsai Ing-wen. Angesichts der massiven Drohungen der Volksrepublik China hängt nun viel von ihrem politischen Geschick ab. Wer ist die Frau an der Spitze der Insel?
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen empfängt mal wieder einen Gast - sogar einen Premierminister -, aber diesmal regt sich kein Protest in der Volksrepublik China. Aber wahrscheinlich ist der Regierungschef der Karibikinseln St. Vincent und Grenadinen, Ralph Gonsalves, einfach zu unbedeutend für die Führung in Peking - anders als US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi, deren Besuch in der vergangenen Woche Spannungen von bislang unbekanntem Ausmaß in der Straße von Taiwan auslöste.
Umso mehr lobt Tsai Gonsalves - es habe sie "wirklich bewegt", dass Gonsalves erklärt hatte, chinesische Militärmanöver würden ihn nicht von einem Besuch abhalten.
Der kleine Staat in der Karibik ist einer der wenigen verbliebenen mit diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Seit dem Amtsantritt von Tsai Ing-wen 2016 ist es noch einsamer um Taiwan geworden, haben weitere Staaten dem Druck Chinas nicht standgehalten und sich von Taipeh abgewandt.
Jüngste von elf Kindern
Doch Tsai Ing-wen lässt sich nicht beirren: Das jüngste von elf Kindern aus dem ländlichen Süden Taiwans ist durch und durch Demokratin und hat ihre Partei DPP spätestens mit ihrer Wiederwahl 2020 endgültig zu einer Volkspartei gemacht.
"Wir sind offen für einen Dialog mit China, sobald er zu einer für beide Seiten gewinnbringenden Beziehung beiträgt", sagte sie im Sommer 2020 und hat diesen Satz wahrscheinlich seitdem 100 Mal wiederholt. Für die Juristin, die in London promovierte, lange an der Uni in Taiwan gelehrt hat und Abgesandte für WTO-Verhandlungen war, bedeutet das, den Status Quo aufrecht zu erhalten: Taiwan bleibt eine lebendige Demokratie und wird von China nicht angegriffen. Im Herbst 2021 sagte sie anlässlich des Nationalfeiertags:
Wir werden nicht voreilig handeln, aber man sollte sich auch keine Illusionen machen, dass die Taiwaner sich Druck beugen werden. Wir werden weiter an unser Verteidigung arbeiten und uns entschlossen selbst verteidigen. Niemand kann uns dazu zwingen, den Weg einzuschlagen, den China für uns vorsieht. Denn Chinas Weg hat weder etwas mit dem freien und demokratischen Leben in Taiwan zu tun noch mit der Souveränität von 23 Millionen Menschen.
Erfolg mit Unauffälligkeit
Sätze, die nachhallen, nicht zum ersten Mal. Dabei ist die 1956 geborene Tsai Ing-wen keine charismatische Rednerin und tritt stets unauffällig auf: In flachen Schuhen, Sakko und Hose gekleidet, auch Frisur und Brillenform hat sie seit Amtsantritt nicht geändert.
Eine unerschütterliche Konstante, wie unruhig die Zeiten auch sein mögen. Seit Amtsantritt bemüht sie sich, Allianzen zu stärken, vor allem mit den USA, ihr Land wirtschaftlich unabhängiger von China zu machen und militärisch aufzurüsten - in der Hoffnung, dass die Weltmacht auf dem Festland ihren Hegemonialanspruch aufgibt.
Tiefgreifende Reformen
Tsai Ing-wen war 2016 nicht nur die erste Präsidentin Taiwans, sondern ihr Kabinett ist mit mehr als 40 Prozent Frauen so weiblich wie nie zuvor. Unter ihrer Führung hat Taiwan als erstes asiatisches Land 2019 die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt.
Über ihr Privatleben wird öffentlich geschwiegen. Aber man weiß: Tsai hat eine Schwäche für Katzen.