Taliban ein Jahr an der Macht Samias neues Leben
Vor einem Jahr lebte Samia in ständiger Angst - heute, sagt sie, schätze sie den Frieden: Auch für die Tochter und Schwester von Talibankämpfern hat sich das Leben verändert. Nachteile sieht sie nicht.
Für Samia ist vor einem Jahr ein Traum in Erfüllung gegangen. "Ich kann kaum den Moment beschreiben, als die Taliban die Macht übernommen hatten. Wir waren alle so glücklich", sagt sie. Die 18-jährige ist die Tochter und Schwester von Taliban-Kämpfern, die die vergangenen Jahre in den Krieg gezogen sind. An den 15. August 2021, als die Taliban Kabul eroberten und endgültig im ganzen Land an der Macht waren, erinnert sie sich genau: "Wir haben ein großes Essen vorbereitet, aber vor lauter Glück haben wir kaum einen Bissen runterbekommen. Wir haben getanzt und den Sieg gefeiert."
Seit einem Jahr hat Samia nun eine Idee davon, was Frieden bedeutet. So oft musste sie in ihrem Leben umziehen, um nicht entdeckt zu werden. Die meiste Zeit in Kandahar, im Süden von Afghanistan. Die Provinz gilt als Herzland der Taliban, hier traten die Islamisten zum ersten Mal im Jahr 1994 in Erscheinung. In den letzten 20 Jahren hatten in Kandahar heftige Schlachten stattgefunden. Samia sagt, Drohnen seien über ihr Haus geflogen, Bomben bei den Nachbarn eingeschlagen.
Eine Kindheit in Angst
Ihre ganze Kindheit habe sie in Angst verbracht, sagt sie: "Eines Tages haben sie die Waffe auf meinen kleinen Bruder gerichtet, sie haben wohl gesagt, er solle stehen bleiben. Aber er hat sie nicht verstanden, dann haben sie auf ihn geschossen, wir haben alle laut geschrien. Zum Glück hat sich mein Bruder dann schnell hingesetzt, sonst hätten ihn die Kugeln getroffen. Das waren amerikanische Soldaten. Sie haben Menschen einfach so getötet, als hätten sie kein Herz in ihrer Brust."
Jetzt sitzt Samia mit ihrer kleinen Schwester, ihrer Schwägerin und der kleinen Nichte entspannt im Wohnzimmer und verteilt Granatapfel-Limonade in Gläser. Es war nicht leicht, Samia zu finden. Die Taliban trauen westlichen Journalistinnen nicht. Schon gar nicht, wenn es darum geht, zu ihnen nach Hause zu kommen und mit den weiblichen Verwandten zu sprechen.
Aber Samias Vater hat sich schließlich doch dazu durchgerungen: Viel zu selten, sagt er, werde über die Sicht der Familie der Taliban geredet, die so viele Jahre hatten leiden müssen. Stolz zeigt er sein Gewehr und seinen Munitionsgürtel, Andenken an einen Krieg, den er vor einem Jahr gewonnen hat.
Samia bereitet ihre Hochzeit vor
Samia ist heilfroh, dass ihr Vater diese Ausrüstung nun endlich nicht mehr nutzen muss: "Wenn mein Vater und mein Bruder so lange im Kampf waren, hat meine Mutter nur geweint. Morgens war ihr Kopfkissen ganz nass vor lauter Tränen." Auch ihren Bruder habe sie ein ganzes Jahr nicht wiedergesehen. "Aber als der Krieg vorbei war, kam er zurück nach Hause. Wir waren alle so glücklich."
Nun bereitet sich Samia auf ihre Hochzeit vor. Stolz zeigt sie ein langes Hemd vor, das sie gerade bestickt. Ein Geschenk für ihren zukünftigen Ehemann. Kein Soldat, keine Bombe und keine Drohne werden diesen wichtigen Tag für Samia zerstören können, sagt sie. Und allen Afghaninnen würde sie am liebsten die Botschaft mitgeben: "Habt keine Angst vor den Taliban. Sie haben den Krieg beendet. Wir können stolz auf sie sein. Wir können nun endlich in Frieden leben."