Asylstreit in der Union "Europa könnte schweren Schaden nehmen"
Nationaler Alleingang oder europäische Lösung im Asylstreit? Wie auch immer CDU und CSU sich entscheiden, das Signal gehe an ganz Europa, sagt der Brüsseler ARD-Korrespondent Markus Preiß im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die CSU will Flüchtlinge abweisen, die in einem anderen EU-Land schon registriert wurden und beruft sich dabei auf das deutsche Grundgesetz. Warum ist das aus europäischer Sicht denn nicht rechtmäßig?
Markus Preiß: Es geht dabei weniger um rechtliche Fragen als um politische. Wenn Deutschland seine Grenze im Süden schließt, dann kann es passieren, dass andere Länder - wie zum Beispiel Italien - die Flüchtlinge gar nicht mehr registrieren. Denn nicht registriert, können sie auch an der deutschen Grenze nicht abgewiesen werden. Die große Gefahr ist also, dass dann jeder nur noch macht, was er will, und dass dann das ganze System, das ohnehin geschwächt ist, implodiert.
tagesschau.de: Mit welchen Problemen hat das europäische System denn konkret zu kämpfen?
Preiß: Zum einen kommen die Flüchtlinge immer nur in bestimmten Ländern an, weil das geografisch gesehen nicht anders möglich ist. Und sie wollen immer nur in wenige Zielländer, nämlich zum Beispiel nach Deutschland. Das führt dazu, dass sich andere Länder zurücklehnen können - und es so schwierig ist mit dem europäischen Kompromiss.
tagesschau.de: Wie könnte man dieses Problem denn lösen?
Preiß: Dazu hat der bulgarische Ratspräsident einen Kompromissvorschlag gemacht. Der sieht vor, dass man nur bei einem richtig starken Anstieg von Flüchtlingen eine Umverteilung macht, die dann auch verpflichtend ist. In einer relativ normalen Situation, wie wir sie derzeit erleben, sollen die Flüchtlinge da bleiben, wo sie zuerst registriert wurden. Diese Länder sollen dann aber auch finanziell stärker unterstützt werden.
tagesschau.de: Warum ist es so schwer, das umzusetzen?
Preiß: Die Positionen einzelner EU-Länder sind verhärtet - es sind fast schon Glaubenskriege. Die Bundeskanzlerin hat sich etwa sehr stark darauf festgelegt, die Grenzen nicht zu schließen, davon kann sie jetzt nicht mehr ohne Gesichtsverlust abrücken. Für Ungarns Regierungschef Victor Orban hingegen ist es fast nicht mehr möglich, irgendeinen Flüchtling aufzunehmen - ohne seine eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren. Man sieht, wohin die vielen starken Worte führen: Es gibt keinen politischen Spielraum mehr.
Die Zahl der Flüchtlinge geht zurück. In Passau an der deutsch-österreichischen Grenze beispielsweise wollten im Oktober 2015 - zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise - noch 140.000 Flüchtlinge nach Deutschland einreisen, so ein Sprecher der Bundespolizei. Derzeit sind es monatlich 150.
tagesschau.de: Italien und Frankreich weisen bereits jetzt schon Flüchtlinge an ihren Grenzen ab. Da gibt es beispielsweise wilde Lager um Ventimiglia - auf welcher rechtlichen Grundlage können die Länder die Flüchtlinge ablehnen?
Preiß: Das ist genau der springende Punkt. Rechtlich kann man das vielleicht legitimieren, aber man sollte jetzt politische Lösungen finden. Das französische Vorgehen verstärkt das Gefühl in Italien, zu einem Flüchtlingslager für ganz Europa gemacht zu werden. Wenn Deutschland jetzt das gleiche machen würde, wäre das aus meiner Sicht katastrophal.
tagesschau.de: Der ehemalige EU-Kommissionspräident Romano Prodi sprach in einem Radiointerview vom Thema Migration als "tickende Zeitbombe für Europa" – wie wahrscheinlich ist es, dass Europa an dem Thema zerbricht?
Preiß: Migration ist ein Thema, das viele emotional berührt. Das kann innerhalb kürzester Zeit hochkochen beziehungsweise hochgekocht werden. Darüber profilieren sich gerade auch sehr viele Leute wie der italienische Innenminister Matteo Salvini und der deutsche Innenminister Horst Seehofer. Wenn die jetzt ihren Weg fortsetzen, dann kann Europa schweren Schaden nehmen. Und das in einer Situation, in der eigentlich nicht einmal besonders viele Flüchtlinge nach Europa kommen.
tagesschau.de: Was hätte das für Folgen für Europa, wenn die CSU jetzt ihren Willen durchsetzen würde?
Preiß: Die Botschaft, die Deutschland dann aussendet, würde lauten: Wir glauben nicht mehr an Europa. Und das wäre ein verheerendes Signal.
Das Interview führte Maiken Nielsen, tagesschau.de