Proteste gegen Polizei in Belarus "Schämt euch!"
Seit der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus geht die Polizei mit Schusswaffen und Tränengas gegen Demonstrierende vor. In Minsk stellten sich nun Hunderte Frauen den Beamten entgegen - und verurteilten die brutale Gewalt.
Den vierten Tag in Folge sind Demonstranten in Belarus gegen den umstrittenen Präsidenten Alexander Lukaschenko auf die Straße gegangen. Unter anderem protestierten Hunderte Frauen in der Hauptstadt Minsk und verurteilten die Brutalität, mit der die Polizei Demonstrationen gegen den angeblichen Wahlsieg Lukaschenkos niedergeschlagen hatte. Die Frauen skandierten "Schämt euch!" und bildeten in mehreren Stadtteilen Menschenketten.
Nach offizieller Darstellung wurden bislang mindestens 6000 Menschen bei den regierungskritischen Protesten festgenommen und Hunderte verletzt. Das Innenministerium räumte ein, dass die Polizei bereits Schusswaffen mit scharfer Munition eingesetzt habe, um Demonstrationen zu beenden. Nach dem Tod eines Demonstranten starb offiziellen Angaben zufolge ein weiterer Mann in Haft, nachdem er bei den Protesten festgenommen worden war.
Berichte über Misshandlungen von Inhaftierten
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, verurteilte das gewalttätige Vorgehen der Behörden. Die Berichte aus Belarus deuteten auf Massenfestnahmen hin, die den Vorgaben des internationalen Menschenrechts widersprächen, sagte sie in Genf. "Noch verstörender sind die Berichte über Misshandlungen während und nach der Inhaftierung." Bachelet forderte die Freilassung aller unrechtmäßig Festgenommenen.
Die Demonstranten zweifeln das vorläufige amtliche Wahlergebnis vom Sonntag an, demzufolge der seit 1994 amtierende Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen erobert haben soll. Seine schärfste Rivalin Swetlana Tichanowskaja kam demnach auf zehn Prozent. Sie flüchtete am Dienstag ins EU-Nachbarland Litauen.
Polizei geht gegen Journalisten vor
Tichanowskaja hatte die Demonstranten in einer Videobotschaft dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Das Video soll jedoch Berichten zufolge unter Druck der Behörden noch vor ihrer Ausreise aufgenommen worden sein. Die 37-Jährige wird von ihren Unterstützern als Siegerin der Abstimmung vom Sonntag gesehen.
Als Antwort auf die anhaltenden Proteste setzte die Polizei Tränengas, Blendgranaten, Wasserwerfer und Gummigeschosse ein und schlug die Demonstranten mit Knüppeln. Einige schwarz gekleidete Beamte verfolgten Demonstranten bis in Wohnhäuser und gingen gezielt gegen Journalisten vor, denen sie unter anderem ihre Kameras zerbrachen.
Lukaschenko spielt Proteste herunter
"Wir stehen für einen friedlichen Protest", sagte die 23-jährige Xenia Iljaschewitsch, die in Minsk demonstrierte. "Wir haben den Mut aufgebracht, um zu demonstrieren. Hunderttausende Belarussen haben sich solidarisch mit uns gezeigt, aber sie haben Angst." Lukaschenko hingegen spielte den Protest gegen ihn herunter. "Der Kern dieser sogenannten Demonstranten sind Leute mit krimineller Vergangenheit und welche, die im Moment arbeitslos sind", sagte er.
Die belarussische Menschenrechtsgruppe Wjasna berichtete, viele bei Zusammenstößen mit der Polizei verletzte Demonstranten trauten sich nicht, sich medizinisch behandeln zu lassen. "Wir haben Informationen, dass medizinisches Personal verpflichtet ist, alle Verletzungen und Wunden der Polizei zu melden", sagte Wjasna-Anwalt Pawel Sapelko. "Und Ärzte sehen die Protestierenden nicht als Opfer, sondern eher als Feinde der Stabilität von Belarus."
Nachbarländer wollen vermitteln
Die staatliche Nachrichtenagentur Belta meldete, die Polizei habe "Koordinatoren der Massenkrawalle" in Minsk festgenommen. Unter den Festgenommenen waren nach Angaben des belarussischen Journalistenverbandes fast 30 Journalisten. Drei seien bereits zu 10 bis 15 Tagen Haft verurteilt worden und 25 seien noch bis zu ihrer Anhörung in Gewahrsam.
Angesichts der brutalen Polizeigewalt haben die Nachbarländer Litauen, Polen und Lettland sich als Vermittler angeboten. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda präsentierte einen entsprechenden Plan, um die Gewalt beenden zu können, wie die Präsidialkanzlei des baltischen EU-Landes mitteilte. Polen und Lettland würden diesen Plan sowie die Einleitung eines internationalen Vermittlungsprozesses unterstützen, hieß es weiter. Präsident Alexander Lukaschenko lehnt einen Dialog bislang strikt ab.
Der Staat "Republik Belarus" ist landläufig als Weißrussland bekannt - doch diese Übersetzung trügt. Der Name "Belarus" ist eine Referenz auf die Westliche Rus, ein Teilgebiet des mittelalterlichen slawischen Großreichs der Kiewer Rus.
Historisch überholte Bezeichnungen wie "Weißruthenien" in der Zeit des Nationalsozialismus und "Belarussische SSR" während der Sowjetunion sind für die 9,4 Millionen Einwohner des seit 1991 unabhängigen Staates schmerzhaft und erinnern sie an die leidvolle Zeit der Fremdherrschaft.
Sie bezeichnen ihr Land meist als Belarus und sich selbst als Belarusen, weil sie damit ihre Eigenständigkeit - insbesondere vom Nachbarstaat Russland - betonen. Auf diplomatischer Ebene wird der Name "Belarus" im deutschsprachigen Raum schon lange verwendet, auch das Auswärtige Amt spricht von der "Republik Belarus". Zunehmend gehen auch deutsche Nachrichtenmedien dazu über - und nennen die Einwohner konsequenterweise "Belarusen", nicht "Belarussen".