Bercow zieht Bilanz "Brexit ist größter Fehler der Nachkriegszeit"
John Bercow prägte unzählige Brexit-Debatten mit seinen "Order"-Rufen. Wie er zum EU-Austritt steht, behielt er jedoch für sich - bis jetzt: Der Brexit sei der "größte außenpolitische Fehler der Nachkriegszeit".
Kurz nach Ende seiner Amtszeit hat der britische Ex-Parlamentspräsident John Bercow seine Neutralität aufgegeben und den geplanten EU-Ausstieg scharf verurteilt: "Ich denke, dass der Brexit der größte außenpolitische Fehler in der Nachkriegszeit ist. Das ist meine ehrliche Meinung", sagte er bei einem Treffen mit Auslandskorrespondenten in London.
Viele sehen in Bercow den Grund, warum Großbritannien immer noch in der EU ist. Er selbst jedoch nicht: "Den Brexit hat bisher nicht der Speaker gestoppt, sondern das Unterhaus konnte sich nicht darauf einigen, den Brexit umzusetzen", sagte Bercow. "Ich weiß nicht, ob das noch passiert und ob die Wahl eine Lösung bringt."
Auf seine Zeit im Unterhaus blickt er mit Genugtuung zurück: "Ich habe mein Bestes gegeben. Ich war ehrlich und habe versucht, ein guter Speaker für das Land und das Parlament zu sein."
Bercow im Unterhaus. Hier sorgte er über Jahre für Ordnung.
"Geld verdienen, Spaß haben und Gutes tun"
Und nun? Für seine Zukunft hat der 56-Jährige viele Pläne: Der Tennisbesessene, wie er sich selbst nennt, will jetzt mehr Zeit für seine Leidenschaft haben. Und für ein Buch, das Anfang kommenden Jahres erscheinen wird.
Ich will Geld verdienen, Spaß haben und Gutes tun. Ich freue mich auf Diskussionen mit Interessierten in Großbritannien und der ganzen Welt, um die parlamentarische Demokratie zu feiern und meine Erfahrungen zu teilen.
Gerne auch in Talkshows im Fernsehen, sagt Bercow. Showtalent hat er auf jeden Fall. Dessen ist sich Bercow bewusst und sonnt sich auch ein bisschen im Ruhm. Dass er inzwischen weltweit bekannt ist, amüsiere ihn:
Ich bin kein Gameshow-Moderator. Aber nur weil das, was wir im Parlament tun, ernst und wichtig ist, heißt nicht, dass es keinen Platz für Humor und Selbstironie gibt. Daran ist nichts Skandalöses."
"Zu entschuldigen habe ich mich für nichts"
Nicht wenige Politiker und Journalisten kritisierten den langjährigen Parlamentspräsidenten für seine Art: zu laut, zu grob, zu selbstverliebt, nicht unparteiisch genug. "Sie haben alles Recht auf ihre Meinung, aber mich kümmert das nicht. Wenn ihnen damit ihr Frühstück besser schmeckt und es gut ist für ihr mentales Wohlbefinden, dann bitte", sagte Bercow.
"Ihre Meinung schert mich keinen fliegenden Flamingo." Diesen berühmten Bercow-Satz gibt es inzwischen auch auf T-Shirts. "Zu entschuldigen habe ich mich für nichts", zieht er nach zehn Jahren auf dem Sessel des Speakers Bilanz. Er bedauere nichts.