Nigeria im Griff der Terroristen Die Boko-Haram-Sekte
Die Mitglieder der Terrorgruppe Boko Haram bezeichnen sich als nigerianische Taliban. Sie verübten sogar einen Anschlag mit 20 Toten auf das UN-Gebäude in Nigerias Hauptstadt Abuja. Die Regierung wirkt hilflos im Kampf gegen die Gruppe, die mit dem internationalen Terror vernetzt sein soll.
Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkkorrespondent Nordwestafrika
Boko Haram zieht schon lange eine Blutspur durch Nigeria. Mit dem offenen Kampf gegen den Staat hat die sektenähnliche Vereinigung vor zwei Jahren begonnen. Schwer bewaffnete Fundamentalisten verwickelten 2009 die nigerianische Armee in wochenlange Gefechte. Im Norden des Landes wurden 800 Menschen getötet, die Polizei richtete den Anführer der Sekte hin. Seit damals führt Boko Haram einen Rachefeldzug und zündet Bomben vor Militäreinrichtungen, in Biergärten und Kirchen - und im August sogar vor der UN-Zentrale in Abuja.
Trotz aller Bekennerschreiben - über die rätselhafte Gruppe islamistischer Fanatiker ist nur wenig bekannt, ihre Ziele sind widersprüchlich. Fest steht: Boko Haram will in ganz Nigeria die islamische Rechtsprechung der Scharia durchsetzen. Hussaini Abdou, Landesdirektor der Organisation "Action Aid Nigeria": Boko Haram sei eine Bewegung muslimischer junger Leute, erläutert Abdou. "Sie lehnen westliche Erziehung ab. Die Radikalisierung hängt stark mit der schlechten wirtschaftlichen Lage zusammen. Boko Haram ist zum Sammelbecken geworden für junge Leute ohne Bildung, ohne Job."
Armut macht den Terroristen die Rekrutierung leicht
Boko Haram habe es leicht, junge Fanatiker zu rekrutieren, so Harouna Yerima, Professor aus der Sektenhochburg Maiduguri. Für ihn ist das Phänomen Boko Haram auch ein Offenbarungseid der Politiker. Besonders der Erdölreichtum Nigerias komme nicht bei den Menschen an. "Die Armut hat sich tief in die Gesellschaft hineingefressen. Viele Menschen haben keine Arbeit, können weder lesen, noch schreiben, und die Korruption ist einfach atemberaubend. Insgesamt ist die Lage so schlimm, dass es mich nicht wundert, dass solche Gruppen wie Boko Haram entstehen und Zulauf haben."
Boko Haram ist jedoch mehr als nur ein Ventil für sozialen Frust. Die Bewegung nennt sich eben auch "Sunnitische Bruderschaft in Ausführung des Heiligen Krieges". Tatsächlich werden die Anschläge immer professioneller, immer öfter sind es Selbstmordattentate mit Autobomben.
Verbindungen zu Al Kaida?
Für den Terrorexperten Mathieu Guidère ist das die Handschrift von Al Kaida: "Zwischen Boko Haram und AQIM, also Al Kaida im Islamischen Maghreb, gibt es eindeutige Verbindungen. Es gibt Beweise für mehrere Treffen zwischen AQIM Chef Abdelmalek Droukdal und den Anführern von Boko Haram. Droukdal hat den nigerianischen Extremisten Geld, Waffen und Ausbildung zu Terrorkämpfern zugesagt, das war im Jahr 2010."
Der Zeitung "Wall Street Journal" liegen Auszüge aus nigerianischen Geheimdienstakten vor. Dort heißt es, Mitglieder von Boko Haram seien schon 2007 in Terrorcamps in Afghanistan ausgebildet worden; bei den Salafisten in Algerien und Mauretanien hätten sie gelernt, wie man Bomben baut, außerdem gebe es Beweise für Kontakte zwischen Boko-Haram-Kämpfern und Somalias Terrorgruppe Al Shabaab - ebenfalls einem Ableger von Al Kaida.
Regierung wirkt hilflos
Doch Nigerias Regierung wirkt trotz aller zur Schau gestellten Entschlossenheit hilflos. Sie hat es bislang versäumt, mit politischen und wirtschaftlichen Reformen für Ruhe zu sorgen. Wirksame Rezepte gegen den Terror hat Nigeria nicht - mit schnellem Geld lassen sich die Islamisten nicht kaufen, mit militärischen Mitteln nicht besiegen. Boko Haram droht außer Kontrolle zu geraten. Der nächste Anschlag der mysteriösen Sekte ist für viele Experten nur eine Frage der Zeit.