Interview mit Friedhelm Brebeck "Jetzt hat man ihn - na und?"
Der frühere ARD-Korrespondent Friedhelm Brebeck, der den festgenommenen Serbenführer Karadzic persönlich erlebt hat, ist skeptisch: Ob man ihm wirklich Kriegsverbrechen nachweisen könne, sei fraglich. Und die Probleme der Menschen blieben ohnehin ungelöst, sagte Brebeck tagesschau.de.
Friedhelm Brebeck, zur Zeit des Krieges in Jugoslawien Balkan-Korrespondent der ARD, ist skeptisch: Ob man dem festgenommen ehemaligen bosnischen Serbenführer Karadzic wirklich eine Beteiligung an Kriegsverbrechen nachweisen könne, sei fraglich, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de. Und auch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme der Menschen in den Nachfolgestaaten blieben. Er glaube nicht, dass die Festnahme eine Wende einleiten werde - das sei "völliger Blödsinn".
tagesschau.de: Sie haben bei Ihrer Arbeit als ARD-Korrespondent Radovan Karadzic persönlich kennengelernt. Wann haben Sie ihn zum ersten Mal getroffen?
Friedhelm Brebeck: Ich kenne Karadzic seit 1990, als er in den ersten freien Wahlen in Ex-Jugoslawien Wahlkampf machte. Er veranstaltete damals im Eisstadion von Sarajevo einen serbischen Abend mit Künstlern aus Belgrad. An dem Abend wurde die serbische Hymne gesungen, was bis dato verboten war. Ich fragte ihn damals, ob er Bosnien spalten wollte. Er wies das vehement zurück – er wolle nur die serbische Kultur deutlicher machen.
Friedhelm Brebeck war fast 20 Jahre Auslands-Korrespondent der ARD. Für seine Berichte aus dem belagerten Sarajewo wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
tagesschau.de: Wie hat er damals auf Sie gewirkt?
Brebeck: Er ist gewiss kein Intellektueller oder rational denkender Mensch, sondern eine geballte Ladung Emotion. Er verfügt aber auch über beträchtlichen Charme. Ich habe nie erwartet, dass diese hochgradige Emotionalität in brutale Wut und Hass umschlagen kann.
"In unsere eigene Geschichte zurückschauen"
tagesschau.de: Vieles, was Karadzic vorgeworfen wird, haben Sie mit eigenen Augen sehen können. Wie haben Sie diesen Ausbruch von Hass zwischen einstigen Nachbarn erlebt?
Brebeck: Karadzic hat in der letzten Sitzung des Parlaments von Bosnien-Herzegowina vor dem Krieg in einer Rede gesagt: "Wenn die Muslime Krieg haben wollen, können sie ihn haben." Und er hat sie gewarnt, sie müssten wissen, dass es sie danach nicht mehr geben würde. Das führte zu Tumulten, der Parlamentspräsident unterbrach die Sitzung, und schon fingen draußen die Schießereien an.
tagesschau.de: Für viele war damals unbegreifbar, wie Nachbarn vom einen auf den anderen Tag so grausam gegeneinander werden konnten.
Brebeck: Wer das nicht verstehen kann, muss in unsere eigene Geschichte zurückschauen – die Pogromnacht von 1938 ist nicht so lange her. Die Wucht hat mich aber auch überrascht. Einer der Gründe war, dass Jugoslawien bis heute seine eigene Geschichte nicht aufgearbeitet hat. Das kroatische KZ Jasenovac zum Beispiel wurde in den Schulbüchern kaum erwähnt, auch nicht, was die Völker Jugoslawiens schon vorher einander angetan haben. Wenn ein Serbe heute versuchen würden, darüber wissenschaftlich zu forschen, wäre er ein toter Mann. Die Einigkeit und Brüderlichkeit, die Tito dem künstlichen Staat Jugoslawien verordnet hatte, war erzwungen. Da es keine kritische, öffentliche Aufarbeitung der Vergangenheit geben durfte, sind die Differenzen in den Familien weitergereicht worden. Das wurde am Esstisch oder in der Kneipe aufgearbeitet – mit allen Ressentiments.
"Die internationale Politik hat in Bosnien völlig versagt"
tagesschau.de: Einer der Hauptanklagepunkte gegen Karadzic ist das Massaker von Srebrenica. Wie haben Sie dieses Kriegsverbrechen erlebt?
Brebeck: Ich war während der Belagerung der Schutzzone und kurz nach dem Massaker dort. Ich erinnere mich, wie ein Emissär der Muslime durch Stacheldraht zu den serbischen Truppen mit einer weißen Fahne kam. Mladic empfing ihn vergnügt, er hatte kurz zuvor für die Fotografen mit nacktem Oberkörper Eisengewichte gestemmt. Mladic sagte den Muslimen freien Abzug zu. Dann ließ er für den Emissär Essen und Sliwowitz auftischen. Anschließend kehrte dieser zurück und der Beschuss ging unvermindert weiter. Das Massaker selbst fand am Stadtrand statt. Die Frauen und Kinder waren in ein altes Fabrikgebäude geflüchtet, wo die niederländischen Truppen stationiert waren. Und dann haben die serbischen Truppen in der Stadt die Männer aussortiert und sie in ein Waldstück geschickt, das nicht von der Straße her einzusehen war. Dort hat man sie dann ermordet, achttausend Mann.
tagesschau.de: Hat die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung damals wahrgenommen?
Brebeck: Nein. Die UNO hat die Sicherung von Sarajevo und anderen Gebieten öffentlich übernommen und völlig versagt. Das liegt aber auch an den Militärs, die damals kommandiert haben. Da haben einige alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden konnte. Man kann doch nicht Schutzzonen wie Srebrenica, Gorazde oder Bihac einrichten - und diese dann nicht schützen. Man kann doch nicht zulassen, dass serbische Panzer Versorgungskonvois der UNO angreifen und dann nicht einmal zum Gegenangriff übergehen. Es war ein Desaster. Die internationale Politik hat in Bosnien völlig versagt.
"Ich verfolge die Berichterstattung mit einem gewissen Amüsement"
tagesschau.de: Wie haben Sie die Nachricht von der Festnahme Karadzics aufgenommen?
Brebeck: Ich verfolge die Berichterstattung mit einem gewissen Amüsement. Diese Festnahme ist nicht mehr als ein symbolischer Augenblick in der juristischen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im Bosnienkrieg. Es wird die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme der Menschen in Serbien, in Bosnien und im Kosovo nicht um ein Sandkorn verringern. Der Glaube, jetzt fehlt nur noch der Mladic und dann geht es den Völkern besser, ist Unfug. Jetzt ist einer der politisch Verantwortlichen gefasst. Da kann er sich nicht rausreden. Es wird aber sehr schwer fallen, ihm Befehle nachzuweisen, die zu Kriegsverbrechen geführt haben. Ich glaube nicht, dass er das Massaker von Srebrenica befohlen hat. Mladic war der Kommandeur der serbischen Streitkräfte, und er war vor Ort. Das Militär hat gemacht, was er befohlen hat. Mladic war ein Schlächter.
Man muss wissen, dass Karadzic und Mladic sich nach einem Jahr Krieg sehr entfremdet hatten – falls sie überhaupt je Zuneigung zueinander hatten. Karadzic ist ein urbaner Mensch, der den Jungen vom Land, der nichts anderes war als ein militärischer Haudegen, im Grunde verachtet hat. Man hörte damals, dass es die Absicht gab, Karadzic abzusetzen und Mladic auf seinen Posten zu hieven. Aber Mladic hat jede Intelligenz gefehlt, vor allem für Politik. Sie mieden sich danach und müssen sich irgendwann geeinigt haben: Der eine macht den Krieg, der andere den politischen Teil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Mladic auch nur einen einzigen Befehl von Karadzic hätte gefallen lassen.
"Den Menschen wird es nicht besser gehen"
tagesschau.de: Ist die Festnahme Karadzics nicht dennoch ein Signal?
Brebeck: Ich glaube nicht, dass dies eine Wende einleitet – das ist völliger Blödsinn. In Bosnien-Herzegowina läuft der Konflikt mit den bosnischen Serben auf eine Abspaltung hinaus. Sie verweigern so gut wie jede Mitarbeit in der gemeinsamen Regierung. Und wieder schaut die Staatengemeinschaft zu – obwohl es dort einen Hohen Repräsentanten mit weitreichenden Befugnissen gibt. Der Konflikt im Kosovo ist ungelöst, und bei den jüngsten Wahlen in Serbien hat es erschreckende Erfolge für die radikalen Nationalisten gegeben. Die Festnahme Karadzics ist nur ein Nebenaspekt. 13 Jahre hat er sich verstecken können. Jetzt hat man ihn – na und? Es ändert nichts. Den Menschen wird es nicht um einen Hauch besser gehen. Die Nationalisten erkennen das UN-Kriegsverbrechertribunal ohnehin nicht an. Die Übrigen werden sagen: "Geht’s es mir besser dadurch? Nein!"
tagesschau.de: Aber sie könnte vielleicht doch Anstoß für eine Aufarbeitung der Kriegszeit sein?
Brebeck: Ich habe keine Hoffnung mehr. Das hätte man schon früher anpacken können, aber auch da hat die UNO versagt. Im übrigen sollten wir in puncto Aufarbeitung nicht so sehr auf die Serben einschlagen. Auch die Kroaten und Muslime haben da Defizite. Wann hat Deutschland sich mit den NS-Verbrechen auseinandergesetzt? Ernsthaft erst in den 70er- und 80er-Jahren, aber nicht unter Adenauer. Ich rechne nicht mehr mit einer Aufarbeitung. Alle Gelegenheiten sind verpasst worden. Eine Gesellschaft, die sich nicht selbst dazu aufrafft, wird dazu noch sehr lange brauchen.
Das Interview führte Eckart Aretz, tagesschau.de.
Aus dem Archiv: Beiträge von Friedhelm Brebeck aus den Jahren 1992-1994