Ergebnis des Referendums Ohne Cameron - und ohne Schotten?
Nach der Entscheidung für einen EU-Austritt zieht Premier Cameron die Konsequenzen und kündigt seinen Rücktritt an. Das Vereinigte Königreich bröckelt: Schottland drängt auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum.
Das Brexit-Votum ist eine schwere persönliche Niederlage für Großbritanniens Premierminister David Cameron. Der konservative Politiker zog nun die Konsequenzen - und kündigte seinen Rücktritt bis Oktober an. Allerdings werde er die nächsten Wochen noch im Amt bleiben, um das Land auf stabilem Kurs zu halten, sagte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Das Land braucht ein neue Führung." Cameron informierte Queen Elizabeth II. im Buckingham-Palast über seinen bevorstehenden Rücktritt.
Der Schritt kommt nicht überraschend. Cameron hatte das Referendum im Januar 2013 unter dem Druck des europaskeptischen Flügels seiner konservativen Partei angesetzt, sich selbst aber in der Kampagne vehement für den EU-Verbleib ausgesprochen.
Kommt jetzt die Zeit von Boris Johnson?
Cameron ist seit 2005 Tory-Parteichef und seit 2010 Premierminister. Das innerparteiliche Gerangel um seine Nachfolge steht unmittelbar bevor - als aussichtsreichster Kandidat gilt nun Boris Johnson, der ehemalige Londoner Bürgermeister und Brexit-Frontmann. Im Gespräch sind auch Justizminister Michael Gove sowie Schatzkanzler George Osbourne.
Brexit-Befürworter wie Ukip-Chef Nigel Farage hatten bereits den Rücktritt Camerons gefordert. "Wir brauchen nun eine Brexit-Regierung", sagte er. "Wir haben eine scheiternde politische Union zurückgelassen." Die EU liege im Sterben.
Wie schnell kommt der Austritt?
Unklarheit gibt es darüber, wie schnell der Austritt erfolgen soll. "Es gibt keine Notwendigkeit für einen genauen Zeitplan", sagte Cameron dazu. Die Verhandlungen solle sein Amtsnachfolger führen, der im Oktober gewählt werden könne.
Die EU-Spitzenvertreter drängen hingegen zur Eile bei den Austrittsverhandlungen. "Jede Verzögerung würde die Unsicherheit unnötig verlängern", erklärten EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Parlamentschef Martin Schulz sowie der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte eine schnelle und zivilisierte "Scheidung".
Am Rande des EU-Gipfels am Dienstag und Mittwoch in Brüssel soll es bereits ein "informelles Treffen" der 27 geben - erstmals ohne Großbritannien.
"Höchstwahrscheinlich" neues Referendum in Schottland
Das Vereinigte Königreich steht vor einer ungewissen Zukunft. Schottland will beim Brexit keinen gesamtbritischen Weg, ein neues Unabhängigkeitsreferendum wird angestrebt. Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon: "Schottland hat klar und entschieden für den EU-Verbleib gestimmt, mit 62 zu 38 Prozent. Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist nun höchstwahrscheinlich."
Die schottische Regierungspartei SNP war 2014 mit einem ersten Versuch, die Unabhängigkeit von Großbritannien zu erreichen, knapp gescheitert. Einem neuen Anlauf werden nach dem Brexit bessere Chancen eingeräumt. Eine Loslösung von London soll den Wiedereintritt in die EU ermöglichen.
Schottland gehört mit Wales, Nordirland und England zum Vereinigten Königreich und ist traditionell proeuropäisch. Auch in Nordirland wurden auf Seiten katholisch-irischer Nationalisten Rufe nach einer Abspaltung von Großbritannien und dem Verbleib in der EU laut. Die Bevölkerungsmehrheit dort stellen aber Protestanten, die Teil Großbritanniens bleiben wollen.
Knapp 52 Prozent für Austritt
Nach mehr als 40 Jahren wollen die Briten als erstes Land überhaupt die Europäische Union verlassen. Eine Mehrheit von rund 52 Prozent der Stimmen sprach sich für den Brexit aus. Insgesamt votierten 17.410.742 Wähler beim EU-Referendum für den Brexit, 16.141.241 fürs Drinbleiben, wie die Vorsitzende der Wahlkommission, Jenny Watson, in Manchester bekannt gab.
In vielen Wahlkreisen und Regionen schnitten die Befürworter eines EU-Ausstiegs stärker ab, als die Meinungsforscher vorhergesagt hatten. Birmingham etwa, die zweitgrößte britische Stadt, stimmte knapp für den Brexit. Und auch in anderen Teilen Nord-Englands, traditionell eine Hochburg der pro-europäischen Labour-Partei, ließen sich deren Wähler offenbar von der Aussicht auf einen Brexit locken.
Die Europäische Gemeinschaft mit bisher 28 Staaten wird damit in die schwerste Krise ihrer Geschichte gestürzt. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen für Großbritannien könnten aber weitaus schwerwiegender sein.