Englands wichtiger Hafen Dovers Angst vor dem No-Deal-Brexit
Fähren mit Waren vom EU-Festland treffen in Dover mehrfach stündlich ein. Noch werden die Lkw hier zügig abgefertigt. Doch bei einem ungeordneten Brexit droht der Hafenstadt in Südengland das Chaos.
John Kemp wohnt seit 25 Jahren am Rande des Hafens von Dover. Der Rentner verlässt gerade mit seiner Frau das Haus. Täglich sieht er, wenn er aus dem Fenster blickt, wie die Lkw beladen mit Obst, Blumen, Lebensmitteln oder Zulieferteilen für die Autoindustrie die Fähren verlassen.
Im Moment müssen die Fahrer nicht ihre Papiere vorzeigen, Waren werden nicht kontrolliert. Sollte es zu einem No-Deal-Brexit kommen, einem chaotischen Austritt aus der EU, würde es von einem Tag auf den anderen Zollkontrollen geben. Von dem Chaos, das droht, kann sich der Rentner bereits eine Vorstellung machen. Kemp erinnert sich an den letzten Streik vor rund drei Jahren von französischen Arbeitern: "Wenn es einen Streik in Calais auf der französischen Seite gibt, dann bildet sich hier der Rückstau. Wir hatten beim letzten Mal eine Lkw-Schlange fast bis Ashford." Es gab einen Stau über fast 40 Kilometer, entlang der M20, der Autobahn, die von London nach Dover führt.
Das Festland ist nur 30 Kilometer entfernt
Es ist ein diesiger Januar-Tag. Weit kann man nicht gucken, 30 Kilometer ist Calais von Dover entfernt. Tim Dixon bereitet seine Firma Motis auf ein mögliches No-Deal-Szenario vor. Er steht auf dem Kreidefelsen der Stadt. Von hier aus kann er über den ganzen Hafen blicken. "Wir sehen jetzt drei Fähren. Eine kommt an, die andere verlässt den Hafen gerade, von weitem sieht man schon die nächste, die wird in zehn Minuten einlaufen", erzählt er. Und jede Fähre transportiert auch einen Anteil Fracht.
Parkplätze gibt es bislang nur für Lkw von außerhalb der EU
Es dauert nur einen Moment, dann rollen die Lkw von der Fähre, die gerade angelegt hat. Sie verlassen in flüssigem Tempo den Hafen und nehmen Kurs auf die Autobahn. Doch dieser Fluss würde gestört, käme es zu einem No-Deal-Brexit.
Das Dienstleistungsunternehmen Motis führt jetzt schon täglich Zollkontrollen für Lkw-Fahrer durch, die aus Ländern außerhalb der EU stammen wie aus der Türkei, der Schweiz, oder Russland. Für sie gibt es einen Parkplatz. Allerdings habe der nur sehr begrenzte Kapazitäten, die man kaum ausbauen könne, erklärt Tim Dixon. Auf der einen Seite ist der Kreidefelsen, auf der anderen das Meer:
Wir könnten vielleicht noch ein bisschen Platz schaffen, aber wirklich nur sehr begrenzt. Wir führen derzeit täglich bei rund 540 Lkw Zollkontrollen durch. Aber es gibt 10.000 Lastwagen, die den Hafen in Dover täglich passieren, man kann sich also das Szenario vorstellen, wenn all diese Lastwagen kontrolliert werden müssen.
Das Aus für die Just-In-Time-Produktion?
Die Fläche für wartende Lkw würde nicht im Entferntesten ausreichen. Die Folge wäre ein ewig langer Rückstau. Möglicherweise könnte der nahe gelegene Flughafen Manston als Parkfläche dienen - allerdings für gerade mal etwa 1000 Fahrzeuge. Es käme zu Lieferverspätungen. Supermärkte würden auf Lebensmittel warten, Autobauer auf Zulieferteile, die für die Just-In-Time Produktion essentiell sind. Fehlen Komponenten steht die ganze Produktion still.
"Jetzt müssen wir erstmal die Abstimmung am Dienstag abwarten", sagt Dixon. "Ich hoffe, dass man sich am Ende auf irgendeine Form von Deal einigt, aber gerade sehe ich das nicht. Wir steuern geradewegs auf einen chaotischen Austritt zu. Das könnte eine Katastrophe werden, 'Armageddon', wie es letztens jemand nannte."
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Der Rentner John Kemp und seine Frau hoffen, dass Großbritannien die EU am 29. März wie geplant verlässt. Zur Not würden sie auch - trotz aller Drohszenarien - einen Austritt ohne Abkommen in Kauf nehmen. Über die Abgeordneten im Parlament ärgern sie sich: "Sie haben einfach den Kontakt zu den Bürgern verloren, die sie eigentlich repräsentieren sollen. Es gibt Abgeordnete, die wollen gegen den Brexit-Deal stimmen, weil sie ein zweites Referendum wollen, obwohl ihr Wahlkreis für den Austritt aus der EU gestimmt hat."