Stoke-on-Trent Frust in der "Brexit-Hauptstadt"
Stoke-on-Trent ist Großbritanniens "Brexit-Hauptstadt". Knapp 70 Prozent der Wähler haben 2016 für den Austritt gestimmt. Dass der Brexit nun erneut ausfiel, löste in Stoke deshalb wenig Freude aus.
Vorbereitungen für die Nacht der Nächte: Der Gruselsound gehört aber nicht zum Brexit, sondern zur Halloween-Feier in der Fußgängerzone von Hanley in Stoke-on-Trent. Ein wenig Ablenkung. Claire ist in Halloweenstimmung, sagt sie, als sie mit Tochter und Gruseldeko vorbeieilt. "Der Brexit interessiert mich nicht. Ich habe ihn satt."
Doch dann ist sie doch beim Brexit, den sie sich nun durch die Neuwahlen erhofft, die diese Woche beschlossen wurden. Denn das alles dauert ihr zu lang.
Hauptsache raus aus der EU
Auch ein No-Deal ist ihr recht, ein Austritt ohne Abkommen. Hauptsache raus aus der EU. Das werde sicher auch passieren, ist Claire überzeugt. Auch eine junge Frau ein paar Meter weiter fordert, dass das Ergebnis der Volksabstimmung umgesetzt wird. Da gebe es doch nichts mehr zu diskutieren.
Cullum würde gerne den Rückwärtsgang einlegen. Der schlaksige 18-Jährige mit dicken Brillengläsern wohnt im YMCA ganz in der Nähe. Er ist entschlossener Remainer, also für den Verbleib in der EU - wie der Großteil in seinem Alter.
Ein gespaltenes Land
Dass er beim Referendum noch nicht abstimmen durfte, ärgert ihn. Doch am 12. Dezember wird er wählen gehen. In dem christlichen Wohnheim sucht Cullum Orientierung fürs Berufsleben. Das ist für viele in Stoke nicht einfach. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Löhne sind niedrig. Bei Diskussionen mit Freunden und Mitbewohnern über den Brexit gibt es auch mal laute Worte.
Cullum erlebt ein geteiltes, gespaltenes Land. Und auch YMCA-Community-Managerin Nicky Twemlow erzählt von Polarisierung, Familienstreit und zerbrochenen Freundschaften. "Es gibt so viel Feindseligkeit zwischen den Menschen", sagt sie. Das Thema sei hochumstritten. "Die Leute vertreten ihre Ansichten so leidenschaftlich. Und sie werden in Extrempositionen gezwungen, ob rechts oder links."
Nicht mehr viel übrig von britischer Idylle
Im Hanley Park herrscht englische Garten-Idylle: Schmucke Pavillions, Tennisplätze, gepflegte Beete. Eine Oase inmitten einer schmuddeligen Gegend mit hässlichen Häuschen. Michael, ein kleiner, drahtiger Rentner, führt hier seinen Dackel Kiki aus. "Brexit wird nie passieren", spottet er und gibt der Labour Party unter Jeremy Corbyn die Schuld. Sie tue alles, um den Austritt zu stoppen.
Dabei war Stoke einmal Labour-Hochburg. Doch dann hat die Großstadt die Kohle- und Stahlindustrie verloren. Und auch mit der weltberühmten Keramikindustrie ging es steil bergab. Dafür kamen immer mehr Einwanderer und Asylbewerber.
70 Prozent in Stoke stimmten für den Brexit
Tim, ein Remainer, sieht deshalb in den 70 Prozent für den Brexit hier in Stoke einen Protest der Menschen, die sich abgehängt und vernachlässigt fühlen: "Hier gab es einen wirtschaftlichen Niedergang, der die Leute frustriert hat. Und mit dem Referendum haben sie zurückgetreten gegen das, was uns die Regierung geraten hat."
In der Fußgängerzone steht Quartiermanager Richard Buxton an der Halloweenbühne. Mit solchen Aktionen und mit Modernisierungen will er die Innenstadt attraktiver machen. Der breite, bärtige Geschäftsmann glaubt nicht, dass der Brexit Stoke-on-Trent helfen kann. "Ich denke, das ist ein Fehler. Wer weiß, was nach dem Brexit passiert", sagt er skeptisch. "Die Keramikindustrie hier wird darunter leiden. Eine Menge Jobs stehen auf dem Spiel."
Dann wird gefeiert. Die Kinder quietschen, die Erwachsenen lachen. Der Sensenmann tanzt zu "Highway to Hell". Ganz passend eigentlich für Halloween, das den Brexit bringen sollte.