Londonderry in Nordirland Eine Stadt mit trauriger Bekanntheit
Die nordirisch-irische Grenze bleibt eine der wichtigsten Hürden bei den Brexit-Verhandlungen. Die Anwohner von Londonderry fürchten den Ausbruch neuer Feindseligkeiten.
Vor dem Gericht in der Bishop Street ist nicht mehr viel zu sehen von den Schäden durch die gewaltige Autobombe vom 19. Januar. An jenem Samstagabend war hier einiges los, rund um die nahegelegenen Pubs und Restaurants der Altstadt. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt oder getötet durch diesen ersten Anschlag in Londonderry seit Jahren.
New IRA verantwortlich für das Attentat
Die Polizei verhaftete Verdächtige, machte die kleine Terrorgruppe New IRA für das Attentat verantwortlich. Ein Schock, sagt John mit Blick auf das Gericht. Doch der 24-jährige Handwerker befürchtet keinen Ausbruch der Gewalt, wenn es nach dem Brexit Grenzkontrollen und Widerstand dagegen gäbe: "Auch bei einer harten Grenze kann ich mir niemanden in meinem Alter vorstellen, der gewalttätig würde und die alten Zeiten zurückbringen wollte. Denn das ist nicht unsere Lebenserfahrung. Für mich ist das Geschichte."
Für Sheila Higgins ist die Geschichte noch lebendig. Die 71-Jährige geht mitten durch Creggan, eines der ärmeren Viertel von "Derry", wie die katholische Mehrheit ihre Stadt nennt. Vor fünf Jahrzehnten war Creggan eine No-Go-Area, in die sich die Armee allenfalls schwer gepanzert und bewaffnet traute.
Die katholische Mehrheit nennt ihre Stadt "Derry".
Schule als Oase des Friedens
Higgins begann 1970 als junge Grundschullehrerin in der Holy Child Primary School hier in der Straße und erinnert sich noch gut an die Schrecken der "Troubles", wie der blutige Nordirlandkonflikt hier heißt: "Da drüben in einem Container am Spielplatz war mein Klassenzimmer. Die IRA schoss eine Granate auf die britische Armee ab. Doch die traf das kleine Gemeindezentrum direkt hier nebenan. Alle dachten, mein Klassenzimmer wäre getroffen, mit 42 Kindern."
Der Unterricht ging weiter. Und all die Jahre passierte nichts. Auch wenn der Konflikt Alltag für die Kinder hier war, habe man versucht, in der Schule "eine Oase des Friedens und der Ruhe zu schaffen."
Sheila Higgins war Lehrerin an der Holy Child Primary School.
Jagd auf unbewaffnete Demonstranten
Doch es kam noch schlimmer. Im prasselnden Regen vor der Schule erinnert sich Sheilas Mann Ciaran an den 30. Januar 1972, den "Bloody Sunday" mit 14 Toten. Wie seine Frau startete der damals 23-jährige Katholik in Creggan zu einem Protestmarsch von Bürgerrechtlern. Weiter unten Richtung Altstadt eröffneten britische Fallschirmjäger das Feuer und machten Jagd auf unbewaffnete Demonstranten.
Eine Wiederbelebung der alten Zeiten des Nordirlandkonflikts sieht Sheila Higgins nicht wiederkommen. Doch kleinere Unruhen hält sie für möglich, falls es wieder eine undurchlässigere Grenze gäbe: "Ich glaube nicht, dass sich sofort etwas ändern wird. Aber wenn es erstmal dauerhafte Anlagen an der Grenze gibt, dann wird alles zum Ziel. Es gibt immer noch eine Gruppe von Unzufriedenen und Verunsicherten, wie wir an dem Anschlag neulich gesehen haben."
Das Wandbild erinnert an den 30. Januar 1972, den "Bloody Sunday" mit 14 Toten.
"Wir sind eine integrierte Gesellschaft"
Stolz führt George Fleming durch die Schweißerei seiner Firma für Landmaschinen sechs Kilometer außerhalb von Londonderry auf der nordirischen Seite. Besonders erfolgreich ist er seit den 1990ern durch Fortschritte bei der EU-Zollunion und durch das Ende des Nordirland-Konflikts. Seine Firma sei gewachsen, von 15 auf 115 Mitarbeiter. Das käme nur durch die offenen Grenzen und durch den freien Waren- und Personenverkehr. "25 Prozent unserer Mitarbeiter kommen aus Irland. Wir können uns keine harte Grenze vorstellen, die all das mit Zollkontrollen und Personenkontrollen aufhält."
Doch in der Grenzfrage geht es nicht nur um Handel, Geschäfte und Jobs, macht der 61-Jährige deutlich: "Wir sind eine so integrierte Gesellschaft - wir überqueren die Grenze in beide Richtungen zum Einkaufen, zum Schulbesuch, zu medizinischen Behandlungen. Es wäre eine Katastrophe für diese Region, wenn so eine Art Berliner Mauer hier quer durchgehen würde."
George Fleming kann sich keine harte Grenze mit Zoll- und Personenkontrollen vorstellen.
Allein die Symbolik könnte reichen
Natürlich würde eine harte Grenze anders aussehen als damals während der "Troubles", als britische Panzer an den Übergängen standen und jeder Grenzgänger ebenso misstrauisch wie gründlich kontrolliert wurde. Doch Fleming meint, allein die Symbolik könnte den wenigen Gewaltbereiten reichen: "Wenn es Zölle gibt, dann gibt es Schmuggel. Wenn es Schmuggel gibt, gibt es Zöllner. Und Polizei auf beiden Seiten, um die Zöllner zu schützen. Und schließlich Armee, um die Polizei zu beschützen. Und diesen Leuten ist es egal, wen sie verletzen."
"Eine harte Grenze wird Chaos verursachen"
Wenige Meilen entfernt in Strabane geht es über den Grenzfluss Foyle auf die irische Seite. Man sieht es der alten, engen Brücke nicht an, aber dies ist einer der wichtigsten Übergänge der Region. Auf der direkten Route aus dem Nordwesten Irlands quer durch Nordirland nach Dublin.
Über diese Brücke erreicht auch der 35-jährige irische Anstreicher Paul zu Fuß die nordirische Seite. "Eine harte Grenze wird Chaos verursachen. Die Leute werden Geld und Jobs verlieren. Und eine harte Grenze wird einige Unruhe in der Bevölkerung auslösen. Meine Familie lebt in Strabane, ich gehe jeden Tag hin und her. Ich will dabei nicht kontrolliert werden. Das ist ein absoluter Witz. Sie sollten einfach alles so lassen, wie es ist."
Die Grenzbrücke nach Strabane führt über den Grenzfluss Foyle.
"Den Brexit abblasen"
In einer Autowerkstatt ein paar Meter neben der Brücke auf der irischen Seite lässt ein Nordire gerade Reifen aufziehen. "Mehr noch als um die Wirtschaft geht es um Frieden", sagt der 26-Jährige, obwohl er selbst gerade arbeitslos ist. "Niemand will, dass hier wieder eine harte Grenze entsteht", so der junge Nordire.
"Hoffentlich klärt sich das bald", meint der Handwerker Paul. "Aber ich kann nicht sehen, wie es überhaupt einen Brexit geben soll." Der Ire sagt hingegen: "Sie sollten den Brexit ganz abblasen, weil es einfach zu viel Uneinigkeit darüber gibt."