Letzter Brexit-Verhandlungstag Kein Deal in Sicht
"Die Uhr tickt" und "Moment der Wahrheit" - heute geht die vorerst letzte Brexit-Verhandlungsrunde zwischen der EU und dem künftigen Drittstaat Großbritannien zu Ende. Eine Einigung ist weit und breit nicht in Sicht.
"Die Uhr tickt". Diese Warnung von EU-Chefunterhändler Michel Barnier trifft heute ganz besonders zu. Denn dies ist der letzte Tag der vorerst letzten Verhandlungsrunde über das zukünftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem zukünftigen Drittstaat Großbritannien.
"Wir stehen vor dem Moment der Wahrheit", betont der SPD-Europaparlamentarier und Handelsexperte Bernd Lange gegenüber dem ARD-Studio Brüssel. Und sein CSU-Kollege Markus Ferber warnt:
Sollte in dieser Woche nicht der Durchbruch gelingen und sollten sich die Briten wieder nicht bewegen, dann sehe ich schwarz für ein Abkommen.
Von einem Durchbruch gibt es keine Spur.
Großbritannien will ungehinderten Zugang
Denn die Regierung in London will weiterhin den ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt, ohne Zölle und Quoten. Aber Großbritannien lehnt die EU-Eintrittskarte für diesen Binnenmarkt kategorisch ab. Das Vereinigte Königreich sei ein souveräner Staat und deshalb nicht bereit, sich trotz des Brexits weiterhin den umfangreichen Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards der EU anzupassen, argumentiert der britische Premier.
Die Standards des Vereinigten Königreiches müssten der EU als unbefristete Zugangsberechtigung für ihren Binnenmarkt reichen - und damit auch für den EU-Finanzmarkt, der für die britischen Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter von zentraler Bedeutung ist.
Sorge vor Dumping
"Wir können doch keine Dumpinginsel mit Dumpingsteuern jenseits des Ärmelkanals akzeptieren", betont der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, gegenüber dem ARD-Studio Brüssel. Volle britische Souveränität bei gleichzeitig unbeschränktem britischem Zugang zum EU-Binnenmarkt - das funktioniert aus EU-Sicht nicht.
Auch bei dem sensiblen Thema Fischereirechte sind sich die britische Insel und die EU bisher nicht näher gekommen. Das Vereinigte Königreich will die gemeinsame Fischereipolitik mit der EU aufgeben, den Zugang zu seinen Hoheitsgewässern für die Fischereiflotten der Nordsee-Anrainerstaaten erschweren und jährlich die Fisch-Kontingente neu aushandeln.
Die EU hingegen wünscht weiterhin weitgehende Fischereirechte - bisher stehen ihr rund 60 Prozent der Kontingente in den britischen Gewässern zu. Vor allem die französischen Fischer sind stark auf die britischen Fanggründe angewiesen. Erhebliche Konflikte sind hier programmiert.
Die Uhr tickt
Zwar ist eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen aus EU-Sicht problemlos möglich - im äußersten Fall sogar bis Ende 2022. Spätestens am 30. Juni muss diese Verlängerung beantragt werden.
Mit Interesse registriert die EU, dass der innerbritische Druck auf Johnson steigt: Drei Regionalregierungen und der Londoner Bürgermeister fordern den britischen Premier auf, die EU um eine Verhandlungsverlängerung zu bitten. Doch bisher zeigt sich der britische Premier davon unbeeindruckt.
Zeit bis zum EU-Gipfel im Oktober
Noch in diesem Monat wird sich Boris Johnson mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mit EU-Ratspräsident Charles Michel treffen, um auszuloten, ob und wie weitere Verhandlungen Sinn machen. Das zukünftige Verhältnis zu Großbritannien ist auch eines der Kernthemen für Angela Merkel während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte.
Spätestens beim EU-Gipfel im Oktober müssten sich die Staats-und Regierungschefs der EU mit den Briten auf ein Handelsabkommen einigen, wenn ein Chaos -Ausstieg der Briten zum 1. Januar 2021 verhindert werden soll.
Merkel und die Bundesregierung geben die Hoffnung nicht auf. "Wir hoffen, dass beim EU-Gipfel im Oktober ein unterschriftsreifes Abkommen vorliegt", betonte der Deutsche Botschafter bei der EU, Michael Clauss, gestern während einer Veranstaltung des European Policy Centre in Brüssel.