Merkel zu EU-Ratspräsidentschaft "Grundrechte - Europas wertvollstes Gut"
Es ist eine besondere Zeit, in der Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne hat: Corona stellt die EU vor neue Herausforderungen. Das betonte Kanzlerin Merkel in ihrer Rede in Brüssel - ebenso wie die Bedeutung der Grundrechte für die EU.
Der Erhalt der Grundrechte wie Redefreiheit, Gleichberechtigung und religiöse Vielfalt: Diese Punkte hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erklärt. "Die Grundrechte, das ist das erste, was mir in der Ratspräsidentschaft am Herzen liegt", sagte Merkel vor den Abgeordneten des EU-Parlaments. Sie seien das Fundament, auf dem Europa ruhe und das "wertvollste Gut, das wir in Europa haben".
Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie habe man gesehen, welch hoher Preis die teilweise Einschränkung der Grundrechte sein kann. Ihr selbst sei die Entscheidung dazu unendlich schwer gefallen. Die Grundrechte dürften nur "mit sehr gewichtigen Gründen und nur sehr kurzfristig" eingeschränkt werden. Merkel betonte auch: "Eine Pandemie darf nie Vorwand sein, um demokratische Prinzipien auszuhebeln." Damit spielte sie offenbar auf Kritik an der Justiz- und Medienpolitik etwa in einigen osteuropäischen EU-Staaten an.
Dass Europa schon viele Krisen überstanden habe, liege auch daran, weil alle sich am Ende bewusst gewesen seien, was unverzichtbar sei: "die Grundrechte und der Zusammenhalt".
"Soziale Dimension ebenso wichtig wie die wirtschaftliche"
Die deutsche Ratspräsidentschaft steht ganz im Zeichen der aktuellen Corona-Krise. "Die Lage ist außergewöhnlich, ja einmalig in der Geschichte der Europäischen Union", sagte die Bundeskanzlerin. Mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Krise mahnte sie eine Einigung bei den Finanzfragen noch im Sommer an: "Wir dürfen keine Zeit verlieren, darunter würden nur die Schwächsten leiden." Sie räumte zugleich ein, dass eine Einigung viel Kompromissbereitschaft von allen Seiten erfordern würde.
Die soziale Dimension sei für den Zusammenhalt in Europa ebenso wichtig wie die wirtschaftliche. Hilfen für besonders von der Krise betroffene Regionen seien daher in aller Interesse. Aber es gelte auch zu beachten, dass "die wirtschaftlich Starken nicht über Gebühr" belastet würden. Mehrfach richtete die Bundeskanzlerin den Appell an die Mitgliedsstaaten, stärker zusammenzuhalten. "Ich bin überzeugt, dass jeder in dieser Krise zu außergewöhnlicher Solidarität bereit ist. Deutschland ist das", sagte sie.
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 17. Juli in Brüssel versuchen, einen Einigung auf das rund 1,7 Billionen Euro umfassende Finanzpaket bis 2027 zu erreichen. Darin enthalten sein soll auch der Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie.
Digitalisierung, Klimaschutz, Kampf gegen Populismus
Weitere Themen, auf die Deutschland während der EU-Ratspräsidentschaft einen Augenmerk legen wolle, sind nach Merkels Worten unter anderem der Fortschritt bei der Digitalisierung sowie Klimaschutz. "Mir ist wichtig, dass wir die europäische Klimaneutralität bis 2050 festschreiben", sagte die Kanzlerin. Sie sei überzeugt, dass eine globale Lösung des Klimawandels nur möglich sei, wenn Europa eine Führungsrolle hierbei übernehme.
Spontanen Applaus gab es für Merkels Ankündigung, sich verstärkt dem Kampf gegen den Populismus zu widmen. "Dem faktenleugnenden Populismus werden wir seine Grenzen aufgezeigt", versprach die CDU-Politikerin. Mit Lüge und Desinformation lasse sich die Pandemie nicht bekämpfen, so wenig wie mit Hass uns Hetze, betonte die Kanzlerin, ohne genauer auszuführen, auf wen sich ihre Aussagen beziehen.
Merkels Auftritt im EU-Parlament war Teil ihrer ersten Auslandsreise seit Beginn der Corona-Pandemie.
Beistand und Kritik
Die Christdemokraten im Europaparlament lobten die Rede ihrer Parteikollegin. "Wer jetzt bei den Verhandlungen über den Wiederaufbaufonds und den EU-Mehrjahreshaushalt bremst, verlängert die Corona-Wirtschaftskrise und riskiert die Zukunft der EU", unterstrichen Daniel Caspary und Angelika Niebler als Chef und Co-Chefin der CDU/CSU-Gruppe.
Eine volle Breitseite gegen Merkel feuerte indes AfD-Chef Jörg Meuthen ab. "Ignoranz, Infamie, Ideologie", warf der Europaabgeordnete der Kanzlerin vor, zählte sie zu den "Totengräbern" der europäischen Idee, zu den Verfechtern eines "sozialistisch motivierten Staatspaternalismus". Darauf entgegnete die Kanzlerin, den "Absolutheitsanspruch bestimmter Meinungen" halte sie für falsch. "Da werden wir zu keinen Lösungen kommen."