Mini-Gipfel in Brüssel Nicht zu dominant, nicht zu harmonisch
Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wartet eine schwierige Aufgabe auf Kanzlerin Merkel: das umstrittene Corona-Aufbau-Programm. Beim heutigen Mini-Gipfel geht es aber vor allem um erste Absprachen - und um klare Ansagen.
Die Erwartungen der Nachbarn an das starke Deutschland sind hoch. Und geht es nach der Kanzlerin, dann sollten auf dem Sondergipfel, Ende kommender Woche, bereits die strittigsten Punkte bei beiden Großprojekten in der EU geklärt werden: etwa die Höhe von Gesamt-Budget und Wiederaufbauplan sowie deren genaue Finanzierung. Um hierfür das Terrain zu bereiten, will sich Angela Merkel nicht nur intensiv mit ihrer Landsfrau und langjährigen Ministerin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, abstimmen, sondern auch mit dem eigentlichen Organisator der Verhandlungen, EU-Ratspräsident Charles Michel.
Vor dem EU-Parlament, das zumindest in Sachen Haushalt ebenfalls ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, will Merkel außerdem die politischen Prioritäten der kommenden sechs Monate unter deutscher Federführung erläutern und auch dort für eine zügige Entscheidung werben.
Von der Leyen will "rasche Einigung"
Auch die Kommission drückt kräftig aufs Tempo: Eine "rasche und ehrgeizige Einigung" über das Corona-Konjunkturpaket - im Fachjargon Recovery-Plan oder NextGenerationEU genannt - habe jetzt absoluten Vorrang, erklären Behördenchefin von der Leyen und ihr italienischer Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
"Mit jedem Tag, den wir verlieren", warnte von der Leyen unlängst bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, werde man sehen, "wie Menschen ihre Jobs verlieren und Unternehmen pleitegehen".
Von der Leyens Idee war es auch, ihre ehemalige Chefin und Weggefährtin Merkel eine gute Woche vor dem so wichtigen Treffen der Staats- und Regierungschefs nach Brüssel einzuladen. Diesmal leibhaftig und nicht, wie in Corona-Zeiten üblich, nur per Bildschirm.
Der Gedanke dahinter: Merkels langjährige Erfahrung als Krisenmanagerin, national wie europäisch, und der gute persönliche Draht des deutschen Tandems sollen der Mission EU-Rettung zum Erfolg verhelfen. "Wir kennen einander lange, wir vertrauen einander tief", sagte von der Leyen vergangene Woche. Man könne so sehr effizient und Klartext sprechen.
Viel Harmonie könnte hinderlich sein
Klare Ansagen, enge Absprachen und Detailgenauigkeit sind bei den Begegnungen heute und in den nächsten Tagen allerdings dringend angebracht. Allzu viel Harmonie oder gar Dominanz des deutschen Doppels könnten andererseits eher hinderlich sein.
Streit herrscht unter den Mitgliedsstaaten nach wie vor über eine ganze Reihe heikler Fragen. Vor allem darüber, ob die Finanzhilfen für corona-geschädigte Branchen und Regionen mehrheitlich als Zuschuss oder doch besser in Form von Krediten fließen sollten. Oder, nach welchen Kriterien und unter welchen Bedingungen die Gelder schließlich ausbezahlt werden. Insbesondere die sogenannten Sparsamen Vier, angeführt von den Niederlanden und Österreich, hegen gegen die großzügigen Konzepte Deutschlands, Frankreichs und der EU-Kommission noch erhebliche Bedenken.
Dass der erhoffte Durchbruch gelingt, ist nach Einschätzungen von Beobachtern alles andere als sicher. Laut Kommissionspräsidentin von der Leyen braucht es dafür nun "starke politische Führung". Ihr Gast aus Berlin scheint dazu bereit, will sich aber vom Zeitdruck allein nicht beeindrucken lassen.