Armee-Einsatz und Grundgesetz Was gilt für den Bundeswehr-Einsatz im Inland?
Die Terrorgefahr hat die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Inland neu entfacht. Verteidigungsministerin von der Leyen ist dafür, der Koalitionspartner SPD sehr skeptisch. Die rechtlichen Hürden des Grundgesetzes sind hoch.
Darf die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden?
Die Bilder der Sturmflut in Hamburg 1962 haben viele noch gut in Erinnerung, nicht nur wegen Helmut Schmidt. Damals leistete auch die Bundeswehr Katastrophenhilfe. Ohne ihre Leistung in einer Notsituation schmälern zu wollen - eine richtige Rechtsgrundlage gab es dafür nicht. Die Aufgaben von Militär und Polizei sind in Deutschland nach den historischen Erfahrungen der NS-Zeit strikt getrennt. Das gilt im Prinzip bis heute. Die Bundeswehr ist grundsätzlich für die Verteidigung des Landes nach außen da, die Polizei ist fürs Inland zuständig.
In Artikel 87a Absatz 2 Grundgesetz heißt es: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt."
In den heiß umstrittenen "Notstandsgesetzen" 1968 wurden zwei eng begrenzte Möglichkeiten für den Einsatz der Bundeswehr im Innern ausdrücklich ins Grundgesetz aufgenommen:
- Die "Katastrophenhilfe" (Artikel 35 Absatz 2 und 3 Grundgesetz)
- Der sogenannte "Innere Notstand" (Artikel 87a Absatz 4 Grundgesetz)
Seit den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 und den aktuellen Ereignissen in Deutschland stehen diese Möglichkeiten wieder verstärkt in der Diskussion. Neue Formen von Angriffen stellen auch das Recht vor neue Fragen. Als Leitlinie ist wichtig: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist schon nach aktueller Rechtslage möglich, aber an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Man darf das Militär nicht "einfach so" zur Unterstützung der Polizei heranziehen, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen.
Was bedeutet "Katastrophenhilfe" der Bundeswehr?
Die Bundeswehr kann in Katastrophenfällen als eine Art "Hilfspolizei" tätig werden und sich derselben Mittel bedienen wie die Polizeibehörden. Voraussetzung ist:
- Entweder eine "Naturkatastrophe" (etwa das Elbhochwasser 2002)
- Oder ein "besonders schwerer Unglücksfall"
Bei einem Terroranschlag in Deutschland kommt die Fallgruppe "besonders schwerer Unglücksfall" in Betracht. Für diesen Begriff hat das Bundesverfassungsgericht 2012 die Hürden ziemlich hoch gelegt. Es müsse sich um eine "ungewöhnliche Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes" handeln. Eine Lage wie am 11. September 2001 in den USA würde wohl darunter fallen. Es spricht auch einiges dafür, dass man eine vergleichbare Lage wie in Paris am 13. November 2015 als eine solche Ausnahmesituation ansehen und einen Bundeswehreinsatz dann für zulässig halten kann. Immerhin ging es um zahlreiche Anschläge an unterschiedlichen Orten mit über 100 Toten.
Das Grundgesetz sieht nur eng begrenzte Möglichkeiten für einen Bundeswehreinsatz im Innern vor.
Für eine Situation ohne konkreten Anschlag ergibt sich aber auch: Man dürfte die Bundeswehr nicht einsetzen, nur weil die Polizei vielleicht nicht genug Einsatzkräfte hat, etwa zum Schutz von Großveranstaltungen oder bestimmten Gebäuden.
Wenn die Voraussetzungen für die "Katastrophenhilfe" vorliegen, müsste die gesamte Bundesregierung einen Bundeswehreinsatz beschließen. Eine Entscheidung des Verteidigungsministers (bzw. der -ministerin) würde nicht ausreichen.
Dürfte die Bundeswehr bei der "Katastrophenhilfe" auch militärische Mittel einsetzen?
Das war über Jahrzehnte sehr umstritten. Dürfte die Bundeswehr bei einem Einsatz im Innern nur als "Hilfspolizei" agieren, also die klassischen polizeilichen Mittel einsetzen? Oder dürfte sie auch spezifische militärische Mittel einsetzen, also Panzer, Kampfjets und ähnliches Gerät? Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht gleich zweimal beschäftigt.
2006 gab es das viel beachtete Urteil zum "Luftsicherheitsgesetz". Im Gesetz war die Befugnis zum Abschuss von Passagiermaschinen geregelt, die von Terroristen für einen Anschlag missbraucht werden. Ausgangsbeispiel war der 11. September 2001. Karlsruhe sagte erstens: Die Tötung Unbeteiligter sei in einem solchen Fall ein Verstoß gegen die Menschenwürde - ein vielschichtiges Thema, das an dieser Stelle nicht vertieft werden kann. Zweitens urteilte das Gericht: Der Einsatz spezifischer militärischer Mittel sei der Bundeswehr im Innern ohnehin nicht erlaubt. Erlaubt sei also nur der "Hilfspolizist".
Der Abschuss eines Flugzeuges mit unbeteiligten Passagieren, das von Terroristen als "Waffe" missbraucht wird, ist bis heute nicht erlaubt, weil es um die Menschenwürde geht. Aber: Bei der Frage nach dem Einsatz militärischer Mittel in besonders schweren Unglücksfällen gab es 2012 eine interessante Wende. Die Länder Bayern und Hessen hatten ebenfalls gegen das Luftsicherheitsgesetz geklagt, sodass das Thema in Karlsruhe erneut auf die Tagesordnung kam. Das Plenum des Gerichts aus allen 16 Richterinnen und Richtern entschied: Das Grundgesetz verbiete den Einsatz solcher Mittel nicht generell, hieß es. Karlsruhe öffnete dieses Fenster damit für den absoluten Krisenfall, betont aber ausführlich die sehr engen Grenzen eines solchen Einsatzes.
Was bedeutet der "innere Notstand" (also die zweite Möglichkeit eines Bundeswehreinsatzes im Innern)?
Ein Militäreinsatz ist auch im Fall des sogenannten "inneren Notstandes" möglich - eine extreme Ausnahmesituation. Die Voraussetzungen für einen solchen Einsatz sind extrem streng. Es muss unter anderem eine "Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung" vorliegen, und die Polizeikräfte von Bund und Ländern dürfen nicht ausreichen. Dann darf die Bundeswehr zum Schutz ziviler Objekte und zur "Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" eingesetzt werden.
Verteidiungsministerin von der Leyen (Archiv) will Bundeswehr und Polizei zusammen für einen Terrorfall üben lassen.