Neuer EU-Ratspräsident Michel "Wer Belgien kann, kann auch Europa"
Charles Michel könne gut zuhören, aber auch selbst Akzente setzen, sagen Menschen, die Belgiens Ex-Premier gut kennen. Diese Eigenschaften könnten ihm zugute kommen, wenn er jetzt das Amt als EU-Ratspräsident übernimmt.
Es ist jetzt einige Wochen her, da konnte man im hiesigen Fernsehen einen sichtlich gelösten Charles Michel erleben. Der 43-jährige Familienvater kam gerade vom belgischen König, er war von seinem Posten als Premierminister entbunden worden und atmete vor der Fernsehkamera erst einmal auf. "Ich habe das Gefühl, mein Bestes gegeben zu haben, und das ist nicht gerade einfach."
Nun übernimmt Michel am 1. Dezember das Amt des EU-Ratspräsidenten von Donald Tusk, der nach fünf Jahren ausscheidet. Tusk übergab heute die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger.
Nie laut, fast unauffällig
Es ist ein typischer Michel, immer ein bisschen gedämpft, nie öffentlich oder laut auftrumpfend, stattdessen zurückgenommen und fast unauffällig. "Er ist jemand, der schon sehr gut zuhören kann", sagt einer, der mit Michel seit fast 20 Jahren immer wieder beruflich politisch zu tun hat und hatte. Es ist Karl-Heinz Lambertz, lange Zeit Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und inzwischen Chef des Ausschusses der Regionen in der EU.
Michel könne aber nicht nur gut zuhören, sagt Lambertz, sondern er sei auch einer, der durchaus eigene Anregungen mit auf den Tisch lege. Und der ein Gespür dafür habe, wie weit jemand, der mit ihm diskutiere, sich bewegen wolle.
Der ehemalige Premierminister Belgiens Michel wird als zurückgenommen, fast unauffällig beschrieben. Er wolle aber immer noch besser sein als sein Vater.
Besser sein als sein Vater
Michel hat Politik von klein auf gelernt, vor allem von seinem Vater Luy in Belgien. Fast 30 Jahre war er Parlamentsabgeordneter, Außenminister, zuletzt EU-Kommissar und Europaabgeordneter. Michel sieht seinen Vater nur selten persönlich. Er hört ihn oft im Radio oder bewundert Papa im Fernsehen.
Der Vater wiederum sagte einst über seinen Sohn: "Er will natürlich besser sein als ich. Das ist tief in ihm drin. Es ist sein Traum. Vielleicht wird Charles sogar erst an dem Tag zur Ruhe kommen, wenn ihm bewusst wird, dass er es geschafft hat, dass er besser ist als ich."
"Wer Belgien kann, der kann auch Europa"
Und Michel sitzt wirklich alles daran, um es seinem Vater zu zeigen. Mit 19 Jahren wird er erstmals Mitglied des Provinzparlaments. Mit 23 Jahren zieht er in die belgische Abgeordnetenkammer ein und lässt sich nebenbei als Rechtsanwalt nieder. Mit 24 Jahren wird er erstmals Minister, mit 39 Jahren schließlich Premierminister von Belgien.
In einem Land, das bis heute zerrissen ist: zwischen Sprachgruppen und Befindlichkeiten, zwischen Armut im Süden und stetigem Aufschwung im Norden. "Wer Belgien kann, der kann jetzt auch Europa", lächelt der ehemalige Ministerpräsident der Deutschsprachigen im Königreich und langjährige Weggefährte Michels, Lambertz.
Belgien sei ein Land, das von morgens bis abends Kompromisse schmiedet und diese Kompromisse seien auch notwendig, um das Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen zu gewährleisten.
Gräben überwinden und Vertrauen
Der liberale Michel nennt als Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit an der Spitze der EU-Staats- und Regierungschefs vor allem drei Themen. Und die klingen ganz ähnlich wie die, die die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch nennt: Europa solle bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt sein. In der Digitalwirtschaft müsse die EU den Riesen Amazon, Google und Co. endlich Paroli bieten können. Und bei der Verteidigung wiederum müsse sie deutlich enger zusammenarbeiten. Um da hinzukommen, gelte es aber erst einmal, die Gräben zu überwinden, sagte Michel vor einigen Tagen bei einer Diskussion mit Studenten.
"Ich war ja schon fünf Jahre Mitglied des Europäischen Rates als Premierminister von Belgien. Und da habe ich eine ganz entscheidende Erfahrung gemacht. Das Wichtigste ist das Vertrauen untereinander," sagt Michel. Fehle das Vertrauen, bekämen die Staats- und Regierungschefs keine gemeinsamen Entscheidungen hin. Hier müsse man ansetzen, und er sei zuversichtlich, dass sie das schaffen.
Trotzdem wird es keine leichte Aufgabe für den Belgier Michel.