Fragen und Antworten Das geheime syrische Chemiewaffenprogramm
Syrien soll über das größte Chemiewaffenarsenal im Nahen Osten verfügen. Bereits seit den 1970er-Jahren läuft die Entwicklung, zum Einsatz gekommen sind die Waffen bisher nicht. Frei zugängliche Informationen über das Arsenal gibt es nicht. Doch es gibt Einschätzungen zu den wichtigsten Fragen.
Seit wann verfügt Syrien über Chemiewaffen?
Das syrische Chemiewaffenprogramm soll in den 1970er- und 1980er-Jahren mit Hilfe der Sowjetunion entwickelt worden sein, um die Abschreckung gegen das Nachbarland Israel zu erhöhen. Laut einem Bericht der Washingtoner Denkfabrik CSIS (Center for Strategic and International Studies) von 2008 soll Syrien anschließend von der Unterstützung des Iran bei der Entwicklung von Chemiewaffen profitiert haben.
Um welche Art von Waffen handelt es sich, und wo sind diese gelagert?
Syrien hat mehrfach eingeräumt, im Besitz von chemischen Kampfmitteln zu sein. Öffentlich zugängliche Informationen über das Arsenal existieren praktisch nicht, da Syrien nicht Mitglied der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen ist. Der US-Geheimdienst CIA schätzt, dass das Regime über mehrere hundert Liter chemischer Kampfstoffe verfügt.
Nach Einschätzung der Brookings Institution in Washington verfügt Syrien über ein hochentwickeltes Chemiewaffenprogramm, zu dem Senfgas, Saringas, Tabun und das tödliche Nervengas VX gehört. Laut einer Untersuchung des Zentrums für Studien zur Nicht-Verbreitung (CNS) gibt es in Syrien mindestens vier, möglicherweise fünf Chemiewaffenfabriken, die nahe der Städte Damaskus, Aleppo und Hama liegen.
US-Beamte hatten im Februar die Zahl der zum Schutz der Waffen nötigen Einsatzkräfte auf 75.000 Mann beziffert. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" von diesem Monat wurden Chemiewaffen zuletzt womöglich an andere Orte gebracht.
Wie ist Syrien bislang mit den Waffen umgegangen?
Die syrischen Chemiewaffen sind nach den bisherigen Erkenntnissen noch nie zum Einsatz gekommen, auch nicht bei Konflikten mit Israel wie dem Libanon-Krieg 1982. Der zur Opposition übergelaufene Ex-Botschafter Syriens im Irak, Nawaf Fares, hatte in der vergangenen Woche gesagt, Syriens Machthaber Baschar al Assad könnte die Chemiewaffen gegen die Aufständischen einsetzen und habe dies womöglich schon getan. Die Regierung in Damaskus erklärte, die Waffen "niemals" gegen die syrische Bevölkerung einzusetzen, schloss aber einen Einsatz im Fall eines "ausländischen Angriffs" nicht aus.
Nach Informationen des US-Verteidigungsministeriums hat Syrien seine Chemiewaffen bereits mehrfach getestet. Danach wurden unter anderem mit chemischen Kampfstoffen bestückte Bomben von Flugzeugen des Typs MiG-23 abgeworfen. Auch bis zu 48 Raketen des Typs Scud-B mit einer Reichweite von mehr als 300 Kilometer sollen für den Transport chemischer Kampfstoffe ausgerüstet sein.
Wie sind die internationalen Reaktionen angesichts der möglichen Gefahr durch die Waffen?
Die USA haben Syrien zuletzt aufgefordert, die Sicherheit bei der Lagerung der Chemiewaffen zu gewährleisten, andernfalls werde die internationale Gemeinschaft die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Israel zeigte sich insbesondere besorgt, sollten Chemiewaffen in den Wirren des Syrien-Konflikts der libanesischen Hisbollah-Miliz in die Hände fallen. Auch Jordaniens König Abdullah II. hatte gewarnt, das bereits in Syrien präsente Terrornetzwerk Al Kaida könne von dem Chaos in Syrien profitieren und "schlimmstenfalls" an Chemiewaffen gelangen.
Woher bezieht Syrien sein Waffenarsenal?
Der mit Abstand wichtigste Lieferant für alle möglichen Waffengattungen ist Russland. Viele Kampfpanzer und Artilleriegschütze stammen noch aus sowjetischer Produktion. Zu den mehr als 550 syrischen Flugzeugen zählen etwa 330 MiG unterschiedlicher Baureihen. Medienberichten zufolge vereinbarten Moskau und Damaskus Anfang des Jahres die Lieferung von Flugzeugen des Typs JAK-130 im Wert von 550 Millionen Dollar.
Im Jahr 2011 importierte Syrien insgesamt Waffen im Wert von 291 Millionen US-Dollar.
Wie stark ist die syrische Armee?
Syrien hat 22 Millionen Einwohner - davon sind 610.000 Soldaten und Reservisten. Von den rund 295.000 aktiven Soldaten sind 220.000 im Heer, 30.000 bei der Luftwaffe, 40.000 bei der Luftabwehr und 5000 bei der Marine. Dazu kommen 314.000 Reservisten. Etwa 108.000 Mann sind in paramilitärischen Einheiten organisiert.