70 Jahre nach Annexion Tibets Wie China Minderheiten unterdrückt
Uiguren, Mongolen, Hui - in China leben mehr als 90 ethnische Gruppen. Viele klagen über Unterdrückung. Umerziehungslager wie in Xinjiang werden nun auch aus Tibet gemeldet.
Glaubt man den kurzen Internetvideos der chinesischen Propagandamedien, ist im nordwestlichen Landesteil Xinjiang alles in bester Ordnung. In einem von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua verbreiteten Clip ist zum Beispiel eine junge Frau namens Zuli zu sehen. Sie arbeite im Süden von Xinjiang in einem staatlichen Amt für Industrie- und IT-Förderung, wird erklärt. Die Anfang 20-jährige Uigurin wird vorgestellt als engagierte, erfolgreiche Berufstätige, die es mit staatlicher Hilfe geschafft habe, sich aus der Armut zu befreien.
Mit Geschichten wie diesen verbreitet Chinas Staats- und Parteiführung ihre offizielle Linie in Sachen Minderheitenpolitik: Vermeintlich rückständige Landesteile wie Xinjiang werden demnach systematisch modernisiert und dem fortschrittlichen Standard der Han-chinesischen Mehrheitsgesellschaft angeglichen.
Multi-ethnisches verkommt zur Folklore
Ethnische und religiöse Minderheiten werden assimiliert, um so gesellschaftliche Harmonie herzustellen. In so gut wie allen Videos wird getanzt, musiziert - zu sehen sind durchweg fröhliche Menschen, die häufig in Trachten auftreten. Das Multi-ethnische verkommt zur reinen Folklore.
"In Xinjiang wird die Religionsfreiheit umfänglich geschützt," betont Regierungssprecher Wang Wenbin bei einer Pressekonferenz in Peking. "Die Rechte und Freiheiten aller ethnischer Gruppen in China werden nach den gesetzlichen Vorgaben geschützt, das gilt auch für die Uiguren in Xinjiang."
Überwacht, schikaniert und benachteiligt
Mit der Realität haben offizielle Verlautbarungen wie diese nur wenig zu tun. In Xinjiang werden Angehörige der Volksgruppe der Uiguren nach Erkenntnissen internationaler Organisationen systematisch überwacht, schikaniert und benachteiligt. Die Vereinten Nationen schätzen, dass rund eine Million Uiguren in Internierungslagern sitzen: ohne Anklage und ohne Möglichkeit, sich rechtlich dagegen zu wehren. Chinas Staats- und Parteiführung hat die Existenz der Lager jahrelang abgestritten, inzwischen spricht sie beschönigend von "Berufsbildungszentren".
Der deutsche Ethnologe Adrian Zenz forscht seit Jahren zu Chinas Minderheitenpolitik. Seine neuesten Recherchen belegen, dass Chinas Führung auch in Tibet vermehrt ähnliche Zentren aufbaut.
Das sind geschlossene Anstalten, umgeben von Mauern, aus denen sie nicht herauskommen. Die Menschen sind dort drei Monate lang fest untergebracht, werden militärisch gedrillt und sie bekommen 'politische Bildung'. Erst danach geht es um berufliche Bildung. Das ist in Tibet teils genauso. Das Problem ist der Mangel an Freiwilligkeit.
Klage über Diskriminierung
Auf dem Papier ist China ein Vielvölkerstaat, in dem mehr als 90 ethnischen Gruppen leben. Davon sind 56 offiziell als Volksgruppen anerkannt. In einigen Lebensbereichen werden Angehörige dieser Minderheiten gezielt gefördert und bevorzugt, zum Beispiel beim Zugang zu Schulen und Unis.
In vielen anderen Bereichen aber klagen Uiguren, Kasachen, Tibeter, Hui und andere Volksgruppen in China vermehrt über Diskriminierung. So spielen sie in Politik, Wirtschaft und Verwaltung kaum eine Rolle. Obwohl sie chinesische Staatsbürger sind, stehen sie häufig unter Generalverdacht, die Han-chinesische Mehrheitsgesellschaft untergraben zu wollen.
"Chinas Führung ist völlig verrückt geworden"
Schon seit vielen Jahren bekommen das zum Beispiel Tibeter zu spüren, die sich für die Bewahrung ihrer kulturellen Identität einsetzen. So gelten der im indischen Exil lebende Dalai Lama und dessen Anhänger in China als Staatsfeinde. Zunehmend drängt die kommunistische Führung auch bestimmte Merkmale anderer ethnischen Minderheiten zurück. So wurde an Schulen im nördlichen Landesteil Innere Mongolei der mongolischsprachige Unterricht heruntergefahren, zum Unmut der dort lebenden mongolischen Minderheit.
In der inneren Mongolei gab es Proteste, dass der Unterricht in mongolischer Sprache an Schulen eingeschränkt wurde.
"Chinas Führung ist völlig verrückt geworden," sagt der mongolische Aktivist Xi Haiming, der Mitte der 1990er Jahre ins Exil nach Deutschland flüchtete und heute in Köln lebt.
Eine rational denkende Regierung mit einem rechtsstaatlichen System würde so etwas niemals tun. Die chinesische Verfassung garantiert die Gleichheit aller ethnischer Gruppen und auch das Recht der ethnischen Minderheiten, ihre Sprachen zu sprechen.
China sieht sich auf dem richtigen Weg
Nach Ansicht von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping ist die staatliche Minderheitenpolitik ein voller Erfolg. Als Beispiel nannte Xi Ende September das staatliche Vorgehen in Xinjiang: Man habe dort eine solide Grundlage gelegt für langfristigen Frieden und Stabilität in der Gesellschaft.